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Schöffen gesucht: „Wichtig ist ein gesunder Menschenverstand“

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Von: Susanne Fischer-Bolz

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Schöffen helfen, das richtige Urteil zu finden. Von ihnen werden Lebenserfahrung und Menschenkenntnis erwartet.
Schöffen helfen, das richtige Urteil zu finden. Von ihnen werden Lebenserfahrung und Menschenkenntnis erwartet. © Agentur

Kann man wirklich helfen, das richtige Urteil zu sprechen? Und in welche Abgründe muss man blicken? Bundesweit werden zurzeit Schöffen und Jugendschöffen gesucht. Auch in Nachrodt-Wiblingwerde. Drei Schöffen erzählen von ihren Erfahrungen.

Nachrodt-Wiblingwerde – Der Rat wird dem Schöffenwahlausschuss beim Amtsgericht vier Vorschläge vorlegen. Ab sofort kann sich jeder bewerben, um dabei zu sein, wenn es heißt: Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil... Eine, die so ein spannendes Amt bekleidet, ist Petra Triches. Sie ist seit 2019 Jugendschöffin am Landgericht Hagen und ihre Amtszeit läuft jetzt aus. „Es ist sehr interessant und macht richtig Spaß“, erzählt die UWG-Ratsfrau von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. Sie war bei Prozessen dabei, in denen es um räuberische Erpressung ging oder um Prügeleien, „wo das Opfer schon am Boden lag und von mehreren Leuten weiter attackiert wurde. Schon heftig“, erzählt sie. Die Straftaten wurden begangen, als die Täter noch nicht volljährig waren. Ihr erster Prozess hatte sechs Verhandlungstage, der andere eigentlich zehn, „aber das wurde dann auf acht reduziert“. Zudem war Petra Triches bei einer Revision dabei. Es ist also keine Tätigkeit, die man jede Woche übernimmt.

Petra Triches ist Jugendschöffin
Petra Triches ist Jugendschöffin © Privat

Der Schöffe bekommt eine Ladung, wenn er benötigt wird. „Ich würde es gern weitermachen, aber ich bin dann jedes Mal von der Arbeit weg. Das ist ja für meinen Chef nicht angenehm. Ich muss mir das noch überlegen, weil es eine super Sache ist“, sagt die UWG-Fraktionssprecherin.

Bei den Prozessen sind immer ein Mann und eine Frau als Schöffen dabei, „das muss paritätisch besetzt sein.“ Es ist nicht so, dass Schöffen stille Begleiter eines Prozesses sind. Im Gegenteil: Sie dürfen mitentscheiden. „Wir diskutieren das aus“, sagt Petra Triches. Wichtig sei ein gesunder Menschenverstand. „Einmal fragte mich der Richter nach meiner Einschätzung. Ich sagte, dass ich die rechtlichen Grundlagen zwar nicht wisse, aber ich würde drei Jahre meinen. Da meinte er, dass er das genauso sehe.“

Man braucht ein dickes Fell

Bei den Prozessen muss der Schöffe durchaus ein dickes Fell haben, wird er doch mit Delikten konfrontiert, die mit dem alltäglichen Leben wenig zu tun haben. „Es greift mich nicht persönlich an, aber ich weiß nicht, wohin das alles führen wird. Man hat sich früher auch geprügelt, aber das geht ja heute viel weiter. Ich finde das sehr schwierig. Dann sind plötzlich Messer im Spiel. Die Frage ist doch, was mit den jungen Menschen los ist. Man kann nicht den Alkohol als grundsätzliche Entschuldigung anführen“, so Triches. Die allgemeine Empfindung, dass die Urteile der Gerichte zu lasch sind, kann Petra Triches nicht bestätigen. „Es wird nach der Gesetzgebung entschieden. Aber sie gibt nicht mehr her. Die Richter müssen sich ans Gesetz halten, ansonsten geht es in Revision. Es ist für sie wirklich schwierig“, findet Triches. Sich für das Schöffenamt zu bewerben, würde sie Menschen raten, die mal hinter die Kulissen schauen wollen und die mit beiden Beinen im Leben stehen.

Christiane Lange war als Schöffin im Landgericht tätig
Christiane Lange war als Schöffin im Landgericht tätig. © Privat

Dem Täter auf die Schliche gekommen

Ein ganz „anderes Kaliber“ sind die Prozesse an der Kleinen und Großen Strafkammer, von denen Christiane Lange erzählt, die dort als Schöffin tätig war. „Da war ich noch berufstätig. Ich hatte das vorher mit meinem Chef besprochen“, erzählt sie und erinnert sich an spektakuläre Prozesse. „Einmal ging es um eine Gang, die im großen Stil Rauschgift geschmuggelt und verkauft hat.“ Bei einem anderen Fall hatte sich ein junger Student über das Darknet drei verschiedene Personalausweise besorgt. Dann hat er auf Online-Portalen Kundenkonten geknackt und wertvolle Gegenstände bestellt: teure Fotoapparate und Beamer. Die Sachen hat er sich an eine andere Adresse liefern lassen, „und dort an irgendeinem Hochhaus mit leer stehenden Wohnungen ein Namensschild von einem seiner Ausweise an den Briefkasten angebracht. Dann hat er gewartet, bis der Postbote die Paketkarte eingeworfen hatte, sie aus dem Briefkasten gefischt und das Paket abgeholt“, erzählt Christiane Lange heute noch kopfschüttelnd. Doch der Täter hatte nicht bedacht, dass das Online-Kaufhaus nach vielen Beschwerden der Kunden eine Rechercheabteilung einsetzte und die Polizei eingeschaltete. „Man ist ihm auf die Schliche gekommen“, sagt Christiane Lange. Zivilbeamte standen irgendwann an einem Paketshop, bis der Täter kam. Der Student wohnte noch bei seinen Eltern. „Das Zimmer war vollgepackt mit Klamotten, die er bestellt hatte und verticken wollte“, sagt Christiane Lange. Noch während er auf die Verhandlung wartete, beging er weitere Straftaten, so dass er nicht mit einer Bewährungsstrafe davon kam. Christiane Lange hätte gern noch fünf weitere Jahre als Schöffin gearbeitet, „weil es einfach so spannend war. Ich kann es nur jedem empfehlen.“

Verdienstausfall

Für die ehrenamtliche Tätigkeit werden der Verdienstausfall und Fahrtkosten bezahlt. „Es wird gelost. Auch, wenn ich mich wieder bewerben würde, weiß ich nicht, ob ich auch drankommen würde“, sagt Petra Triches. Vor der Verhandlung wissen die Schöffen übrigens nicht, worum es geht. Erst am ersten Tag des Prozesses erfährt der Schöffe im Richterzimmer, worum es geht. So auch Kathrin Püschel, die gerade als Schöffin am Landgericht Hagen tätig ist und diesen „Job“ jedem empfehlen kann. Kathrin Püschel war auch schon mal Schöffin am Verwaltungsgericht Arnsberg.

Kathrin Püschel ist Schöffin am Landgericht
Kathrin Püschel ist Schöffin am Landgericht © Fischer-Bolz, Susanne

„Das war auch interessant, aber am Strafgericht kann man sich eher auch eine eigene Meinung bilden. Es ist nicht so, dass die Menschen einfach abgeurteilt werden, sondern es geht um viele Details“, erzählt die Christdemokratin. Man fühle, dass die eigene Meinung wertgeschätzt werde und die Richter auch die anderen Perspektiven, die die Schöffen einbringen, ernst nehmen. Trotzdem sei die Gesetzeslage natürlich komplex und man lerne jede Menge dazu. Wichtig sei, dass dieses Ehrenamt mit dem Arbeitgeber abgesprochen werde. „Wenn der Termin ansteht, steht er an. Dann muss man auch hingehen.“

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