Betroffenen macht Corona-Zeit schwer zu schaffen: „Heroin-Sucht ist ein Vollzeit-Job“

Alle vier bis sechs Stunden brauchen Heroin-Süchtige neuen Stoff. Nicht nur finanziellerseits ist das mit erheblichem Aufwand verbunden.
„Heroin-Sucht ist ein Vollzeit-Job“, beschrieb Daniel Kämmer von der Drogenberatung im Märkischen Kreis (Drobs) im Sozial- und Kulturausschuss der Gemeinde Nachrodt-Wiblingwerde, der am Dienstag in der Sekundarschule stattfand. Zusammen mit seiner Kollegin Ilona Meuser erzählte er, wie sich die Arbeit in der Corona-Zeit verändert hat – und was diese Zeit für die Süchtigen bedeutete.
Schnell gefangen habe sich die Drobs nachdem die erste Corona-Welle ins Rollen kam, berichtete Meuser von einer nur kurzen „Schockstarre“. Erfreut stellte sie fest, dass die Beratungen die ganze Zeit in Präsenz angeboten werden konnten – in den drei Geschäftsstellen Werdohl, Lüdenscheid und Iserlohn. Was nicht ging wegen der strengen Regeln: die Sprechstunden in den Krankenhäusern. Um mehr auf die Betroffenen eingehen zu können, bot die Drobs mit einem Bulli eine mobile Beratungsstelle an – mit Plexiglasscheibe sogar ganz corona-konform.
An Weihnachten rückfällig geworden
Die Corona-Zeit habe Betroffenen erheblich zu schaffen gemacht. Meuser verdeutlichte das an einem Beispiel. Sie erzählte von einer jungen Frau, die drei Jahre clean gewesen sei. Mit Corona ging sie in Kurzarbeit. Ihre Struktur, der Sport, die Selbsthilfegruppe – durch die Einschränkungen sei ihr Leben von heute auf morgen nicht mehr wie vorher gewesen. Sie habe sich tapfer geschlagen. Als sie Weihnachten alleine gefeiert habe, sei sie allerdings rückfällig geworden. „Sie hat sich schnell gefangen“, so Meuser. Dennoch: Unvorhergesehenes hat Betroffene teilweise ordentlich aus der Bahn geworfen. Meuser: „Für mich wurden diese Menschen allein gelassen.“

In der Corona-Zeit habe die Drogenberatung häufiger exzessiven Medienkonsum feststellen können, „gerne in Kombination mit Cannabis-Konsum“, so Meuser. Die beiden berichteten auch von vielen „Akutfällen von jungen Erwachsenen“, die massiv konsumierten – sich teils an den Medikamenten-Schränken der Eltern bedienten.
Suchtprävention konnte kaum stattfinden
Und noch etwas fällt in das Fazit nach zwei Jahren Corona: „Es hat deutlich weniger Suchtprävention stattgefunden“, so Meuser. Konkret: Es gab weniger Berührungspunkte mit Kindern und Jugendlichen, die sonst über die Schule erreicht wurden – und mit den Lockerungen jetzt auch endlich wieder erreicht werden können. Das war auch eine Hauptbotschaft der beiden bei ihrem Besuch im Ausschuss: „Machen Sie Werbung, wir sind ansprechbar!“ Gerne sei die Drobs auch auf Veranstaltungen vertreten, um sich und ihr Angebot vorzustellen. Und: Mehr zugehen auf die jungen Leute. Dazu gehören auch die Auftritte in den sozialen Medien, die es vorher nicht gab. „Wir müssen in die Lebenswelten der Jugendlichen eintauchen“, so Meuser. Bald soll es deshalb auch eine Chat-Beratung geben.
Wenn Corona etwas Gutes habe, dann vielleicht, dass die Drogenberatung mehr auf Digitalisierung setzt -- und das wohl schneller als das sonst der Fall gewesen wäre, waren sich die beiden einig. Klar wurde damit aber auch: Jeden erreicht man auf diesem Wege nicht. Seien die zumeist jüngeren Cannabis-Konsumenten digital fit, sehe das bei den häufig älteren Heroin-Süchtigen schon anders aus, so Kämmer.
Unterschiedliche Wege zur Finanzierung der Sucht
Die Ausschuss-Mitglieder hatten im Anschluss Zeit, Fragen zu stellen. Wie sich die Süchtigen den Konsum finanzierten, wollte eine wissen. Kämmer erklärte, dass natürlich auch diese Menschen Mittel hätten – diese aber eben anders einsetzen. Dazu gebe es ganz unterschiedliche Wege: Die einen prostituierten sich, die anderen würden stehlen, wieder andere kauften größere Mengen an Drogen, um sie in kleineren Mengen weiterzuverkaufen. Eine richtige Drogensucht sei ein Vollzeit-Job, da bleibe keine Zeit für etwas anderes.