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Kleines Buch, großes Interesse: Das Schweizer Nationalmuseum „klopft“ an

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Von: Dirk Grein

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Recht unscheinbar liegt das Stickbuch im geöffneten Deckel einer Blechdose, in der Garnfäden aufbewahrt werden. Dennoch weckte das Büchlein das Interesse des Schweizerischen Nationalmuseums.
Recht unscheinbar liegt das Stickbuch im geöffneten Deckel einer Blechdose, in der Garnfäden aufbewahrt werden. Dennoch weckte das Büchlein das Interesse des Schweizerischen Nationalmuseums. © hüttebräucker

Eine solche Anfrage hat der Geschichts- und Heimatverein noch nie erhalten: Das Schweizerische Nationalmuseum bekundet Interesse an einem Exponat aus dem Herscheider Spieker. Das Objekt der Begierde wirkt auf den ersten Blick eher unscheinbar, der Name hingegen ist auffällig: Das Neger-Stickbuch sorgt für Schriftverkehr zwischen Herscheid und Zürich.

Herscheid - Wie und wann dieses kleinformatige Heft in den Besitz der hiesigen Heimatfreunde gelangt ist, kann Vorsitzender Dr. Hüttebräucker nicht nachvollziehen. Seinem Verein werden immer wieder Gebrauchsgegenstände aus früheren Zeiten angeboten. Der umgekehrte Fall, also eine Leihanfrage, ist eher eine Seltenheit. Allein deshalb reagierte der Herscheider zunächst zögerlich, als er eine E-Mail aus der Schweiz erhielt. Doch der Inhalt verblüffte ihn und seine Vorstandskollegen noch mehr.

Darin war zu lesen, dass das Nationalmuseum für das Jahr 2024 eine Herbstausstellung plane; das Thema soll die Schweiz und der Kolonialismus sein. Zum jetzigen Zeitpunkt befinde man sich auf der Suche nach „kulturprägenden Objekten mit kolonialen Verstrickungen“, heißt es in dem Schreiben, welches auch ein Bild enthält. Das Foto entstand im Herscheider Spieker und zeigt die Umgebung des dort ausgelegten Stickbuches.

Dieses sei ihm bis dato noch nicht aufgefallen, gesteht Dr. Hüttebräucker, der sich daher auf die Suche begab. Im oberen Durchgang des Spiekers wurde er fündig: Umgeben von Bügeleisen mit Wechselgriffen, Kinder-Nähmaschinen, einem Werkbuch für Mädchen sowie einer Flachstrickmaschine entdeckte er eine Blechdose, in der Garnfäden aufbewahrt werden. In dem geöffneten Deckel dieser Dose lag das besagte Stickbuch.

Buchtitel entsteht aus Namen der Verfasserin

Woher der Name Neger-Stickbuch stammt, lässt sich rasch erahnen: Es handelt sich um eine Verschmelzung aus Anfangsbuchstaben des Vor- sowie des Nachnamens der Erstellerin Natalie Eger. Sie hatte das Buch um das Jahr 1900 zusammengestellt und darin Stickmuster vervielfältigt. Auch Hinweise zur Nachahmung sind darin enthalten: So beschreibt Eger, wie die Nadel bei einem „einseitigen Kreuzstich als Tapisseriestick“ zu führen ist.

Dr. Klaus Hüttebräucker blättert durch das mehr als 100 Jahre Buch, in dem Stickmuster und Informationen zur Umsetzungen festgehalten sind.
Dr. Klaus Hüttebräucker blättert durch das mehr als 100 Jahre Buch, in dem Stickmuster und Informationen zur Umsetzungen festgehalten sind. © grein

Derlei Anleitungen seien früher sehr beliebt gewesen, ergänzt Dr. Klaus Hüttebräucker. Doch das heutige Interesse an diesem mehr als 100 Jahre alten Buch überraschte ihn doch sehr: Im Spieker, in dem mehr als 1000 Exponate zu sehen sind, sei das Heft sicherlich nicht vielen Besuchern aufgefallen. Doch im Luftlinie knapp 500 Kilometer entfernten Zürich hingegen schon – und das, obwohl dafür kein Mitarbeiter das Heimathaus betreten hatte. „Ich weiß nicht, wie das Museum darauf aufmerksam geworden ist“, erzählt der Vereinsvorsitzende.

Nachfrage in der Schweiz

Daher fragten wir nach im Nationalmuseum, bei Co-Kuratorin Marilyn Umurungi. Sie schreibt uns, dass sie „eine oberflächliche Suche“ im Internet nach dem Neger-Stickbuch zur Ausstellung im Heimatverein geführt habe. Sie erzählt zudem, dass Natalie Eger und auch Louise Böhme für den Verlag Rudolf Gerstäcker zu Beginn des 20. Jahrhunderts mehrere Vorlagen und Stickmuster für den Handarbeitsunterricht im deutschsprachigen Europa zusammengestellt haben. „Wer diese Frauen genau waren, lässt sich leider nicht so leicht herausfinden“, ergänzt die Co-Kuratorin auf Nachfrage unserer Zeitung.

Nicht nur von unserer Redaktion, sondern auch von Seiten des Herscheider Heimatvereins hat Umurungi digitale Post erhalten: Dr. Klaus Hüttebräucker stellte ihr in Aussicht, dass die Herscheider ihr Stickbuch gern für eine Ausstellung in der Schweiz zur Verfügung stellen wollen. Für die Ausstellung muss allerdings zunächst noch der historische Kontext des Stickbüchleins geklärt werden. Sollte ein Schweizer Bezug erforscht werden, kann es sein, dass das Büchlein, das viele Jahre eher unbeobachtet im Spieker gelegen hat, schon bald auf dem Weg in die Schweiz gebracht wird, wo es einem breiten Publikum gezeigt werden soll.

Über das Nationalmuseum

Unter dem Dach des Schweizerischen Nationalmuseums sind drei Museen (Landesmuseum Zürich, Château de Prangins und das Forum Schweizer Geschichte) sowie das Sammlungszentrum in Affoltern am Albis vereint. Die Museen präsentieren Schweizer Geschichte von den Anfängen bis heute, und erschließen – auch mit temporären Ausstellungen zu aktuellen Themen – die schweizerischen Identitäten und die Vielfalt der Geschichte und Kultur des Landes. Die für 2024 geplante Herbstausstellung, für die unter anderem das Herscheider Buch gedacht ist, soll daran erinnern, dass die Schweiz keine Insel war, die mit dem Kolonialismus nicht zu tun hatte. Quelle: www.landesmuseum.ch

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