„Letzten Jahre müssen aufgearbeitet werden“: Corona hat Spuren hinterlassen

Die Besucherzahlen sind nach der Corona-Talsohle rasant gestiegen. Das Thema Pandemie bleibt im Jugendzentrum dennoch aktuell, wenngleich dort sämtliche Einschränkungen längst aufgehoben wurden.
Herscheid - „Die letzten drei Jahre müssen aufgearbeitet werden“, erzählen Einrichtungsleiterin Silke Obier und ihr Kollege Andreas Wehberg. Sie spüren bei den jungen Besuchern einen großen Gesprächsbedarf. Zu viel sei in den zurückliegenden Monaten geschehen, als dass es einfach so unkommentiert bleiben kann.
Die Frage „Warum ist die Welt so, wie sie ist?“ werde nahezu täglich besprochen und hinterfragt. Diese Beziehungsarbeit sei ohnehin ein Schwerpunkt im Umgang mit den Jugendlichen – sie erfahre aufgrund der globalen Entwicklungen zurzeit eine besondere Bedeutung.
Weniger Jüngere, dafür mehr Jugendliche
Eine weitere Folge der Pandemie ist die veränderte Altersstruktur der Besucher: Der einst große Anteil an jüngeren Gästen ist merklich zurückgegangen. Den Hauptteil (42 Prozent) machen jetzt 14- bis 17-Jährige aus, gefolgt von Zehn- bis 13-Jährigen (28 Prozent) und 18- bis 26-Jährigen (27 Prozent). Am Tag kommen bis zu 50 verschiedene Jugendliche in die Einrichtung – das sei eine hohe Zahl. Silke Obier spricht von viel Betrieb und die Erleichterung ist ihr anzumerken, dass die Zeit des leeren Jugendzentrums im Lockdown endgültig vorbei ist.
Apropos Lockdown: Das Duo Obier / Wehberg hat die besucherarme Zeit unter anderem dazu genutzt, die Räume im Jugendzentrum neu zu gestalten. Neben den Zockerräumen für Computerfreunde und dem Toberaum unterm Dach ist besonders der Sportkeller beliebt, in dem diverse Fitnessgeräte genutzt werden können.
Betreuer für Ferienspaßaktionen händeringend gesucht
Nach der Auflösung des Betreuungsvereins Holiday Kids bietet das Jugendzentrum drei Ferienspaßaktionen pro Jahr an: je eine Woche zu Ostern und im Herbst sowie zwei Wochen im Sommer. Seitens der Kinder und Eltern sei der Bedarf groß. Allerdings gestalte sich die Suche nach Betreuern immer schwieriger. Langjährige Helfer brechen weg, da sie arbeiten oder studieren. Neue Jugendliche zu begeistern, sei schwierig. Die Arbeit erfolge auf Ehrenamtsbasis mit geringer finanzieller Entschädigung, erzählt Silke Obier, die ergänzt, dass man zuletzt von Gruppenangeboten abgekehrt sei und nun angebotsorientiert mit den Kindern arbeite. Bereits für den nächsten Ferienspaß werden Betreuer gesucht: Vom 3. bis 6. April gastiert der Mitmachzirkus Manegentraum am Jugendzentrum.
Zur Belebung der Einrichtung habe ganz maßgeblich das gemeinsam mit der heimischen Werbeagentur Twinners erstellte Konzept beigetragen. Doch nicht die Erwachsenen, sondern acht Kinder stellen im neuen Flyer und auch auf der Internetseite das Jugendzentrum vor. Im Rahmen dieser Kooperation erhielten die jungen Stammbesucher Einblicke in den Entstehungsprozess und wurden aktiv in diesen mit eingebunden – diese Form der Partizipation habe allen Beteiligten große Freude bereitet, sagt Silke Obier.
Die Situation auf Herscheids Straßen
Eine weitere Veränderung in der Herscheider Jugendkultur stellt Andreas Wehberg bei seiner aufsuchenden Arbeit fest, also wenn er Treffpunkte auf der Straße besucht: „Im öffentlichen Raum halten sich weniger Jugendliche und junge Erwachsene auf, als vor Corona.“ Die jungen Leute hätten sich eigene Treffs, etwa in Wohnungen, gesucht. Zudem gehen einige inzwischen einem Beruf nach und haben daher weniger Zeit für Freizeit.
Stattdessen halten sich nun andere Gruppen im öffentlichen Raum auf. Dabei handele es sich um Jugendliche, die zum Teil auch das Jugendzentrum besuchen, was die Arbeit für Andreas Wehberg erschwere. Denn: Im Jugendzentrum gelten für sie festgelegte Regeln, auf der Straße hingegen nicht. Treten im Juz Konflikte oder Probleme auf, so werden diese in aller Regel auch draußen von den Jugendlichen thematisiert. „Für mich ist das ein Spagat“, beschreibt Wehberg diese besondere Herausforderung.
Zugleich betont er aber auch, dass die Stimmung im Jugendzentrum generell entspannt sei. Wenngleich der Redebedarf groß sei, stehe eines außer Frage: „Wir sind alle froh, dass die Coronakrise überwunden ist.“