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Reise in die Vergangenheit: Als Herscheid noch gemütlich war

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Von: Dirk Grein

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Fliegeraufnahme der Dorfmitte aus den 1930er Jahren: Das um 1920 gebaute Presswerk ist zu sehen und in den Gärten nahe des Rahlenbergs erkennt man den Steigerturm der Feuerwehr, der 1911 erbaut und 1945 durch die Kriegseinwirkungen zerstört wurde.
Fliegeraufnahme der Dorfmitte aus den 1930er Jahren: Das um 1920 gebaute Presswerk ist zu sehen und in den Gärten nahe des Rahlenbergs erkennt man den Steigerturm der Feuerwehr, der 1911 erbaut und 1945 durch die Kriegseinwirkungen zerstört wurde. © Privat

Die Friedenseiche am Markt, die Jugendherberge am Freibad, der rätselhafte Knochenfund in der Apostelkirche: Birgit Hüttebräucker hatte für das jüngste Treffen der Evangelischen Frauenhilfe einen spannenden Ausflug in die Geschichte der Ebbegemeinde vorbereitet.

Herscheid - Bereits an der ersten Zwischenstation, dem Geschäftshaus der Familie Plankemann, wurden bei den Besucherinnen im Luther-Haus Erinnerungen geweckt. „Das war das Herscheider Kaufhaus schlechthin, man bekam alles dort“, erzählte Birgit Hüttebräucker. 1858 von Theodor Eduard Plankemann als Gemischtwarengeschäft mit Textil- und Kolonialwaren, Porzellan und Schreibwaren eröffnet, wurde das Angebot im Laufe der Jahre um eine Drogerie und eine Zahlstelle der Spar- und Darlehenskasse erweitert. Heute befindet sich an dieser zentralen Stelle ein Versicherungsbüro der Provinzial.

Ihren Streifzug durch die Historie beschränkte die Kirchenarchivarin auf die Ortsmitte – denn schon diese berge eine Vielzahl an heimatgeschichtlichen Schätzen. Sie widmete sich der Villa Alberts an der Plettenberger Straße: Das würfelförmige Gebäude mitsamt seinem auffälligen Dach wurde im Jahr 1870 gebaut und gehört heute in die Liste der Herscheider Baudenkmäler. Nicht wegzudenken aus Herscheid sind die Konditorei Sirringhaus, die am 14. Mai 1890 eröffnet wurde, und das Schuhhaus Schöttler, in dem sich einst der Konsum von Paul Hüttebräucker befand.

Vor 80 Jahren wurden unter der Sakristei der Apostelkirche diese Knochen entdeckt. Diese wurden größtenteils auf dem Friedhof beigesetzt. Ein heimischer Arzt soll einen Schädel als Dekoration aufbewahrt haben.
Vor 80 Jahren wurden unter der Sakristei der Apostelkirche diese Knochen entdeckt. Diese wurden größtenteils auf dem Friedhof beigesetzt. Ein heimischer Arzt soll einen Schädel als Dekoration aufbewahrt haben. © Agentur

Bemerkenswert ist der Wandel der heimischen Infrastruktur: Das Kaiserliche Postamt am Neuer Weg wurde 1890 in Betrieb genommen. Die letzte Postkutsche von Herscheid nach Plettenberg fuhr am 8. Juli 1915 – sie wurde abgelöst durch die Eisenbahn. Der erste Zug traf am selben Tag feierlich am Herscheider Bahnhof ein; der letzte Personenzug auf der Strecke Herscheid-Plettenberg fuhr nur 50 Jahre später, am 24. September 1965.

Das Aus für Herscheids Kino: Im August 1958 brannte der Schürmannsche Saal, in dem sich die Astrolichtspiele befanden, ab. Das Gebäude musste abgerissen werden.
Das Aus für Herscheids Kino: Im August 1958 brannte der Schürmannsche Saal, in dem sich die Astrolichtspiele befanden, ab. Das Gebäude musste abgerissen werden. © Privat

Für Erstaunen sorgte das Bild zahlreicher Schädel und Gebeine, die anonym auf dem Friedhof begraben wurde. Dazu erzählte die Referentin folgende Geschichte: Bei einem Krippenspiel im Jahr 1939 oder 1940 seien zwei Mädchen derart nervös in der Sakristei umhergehüpft, dass der Boden unter ihnen nachgab. Dadurch wurden die Knochen entdeckt. Ergänzend zeigte Birgit Hüttebräucker eine Karte, die die Lage des alten Kirchhofes zeigte – seinerzeit wurden die Verstorbenen im Umfeld der Apostelkirche beigesetzt.

Die Fliegerlandung im Jahr 1917 auf den Wiesen im Bereich Mark, der Umbau der Kaiserhalle, der Brand des einzigen Kinos (im Schürmannschen Saal), und die Arbeitsdienstlager im Müggenbruch waren weitere Stationen des geschichtlichen Ausfluges.

Das Geschäftshaus der Familie Plankemann am Markt war früher das Herscheider Kaufhaus schlechthin. Heute befindet sich in dem Gebäude die Provinzial-Versicherung.
Das Geschäftshaus der Familie Plankemann am Markt war früher das Herscheider Kaufhaus schlechthin. Heute befindet sich in dem Gebäude die Provinzial-Versicherung. © Privat

Mit alten Postkarten und Luftaufnahmen machte Birgit Hüttebräucker deutlich, wie spärlich bebaut die Gemeinde noch vor einigen Jahrzehnten war. Wohngebäude und Straßen, die heutzutage längst vertraut sind, fehlten beispielsweise Mitte der 1960er Jahre, als am Rahlenberg lediglich der Schulbau wuchs. Zudem zeigte sie zwei ehemalige Jugendherbergen – eine am Freibad und die zweite im Kuckuck, einem kleinen Gebäude an der Apostelkirche.

Die alten Bilder vermittelten Impressionen aus einer lange vergangenen Zeit. „Damals war Herscheid noch gemütlich“, schlussfolgerte eine Besucherin. Inge Rethemeier, Pfarrerin im Ruhestand und seit 45 Jahren Herscheiderin, bedankte sich bei Birgit Hüttebräucker für einen eindrucksvollen Vortrag, und betonte abschließend: „Hier bei uns in Herscheid kann man es sehr gut aushalten – auch heute.“

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