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Sohn kommt auf der Flucht zur Welt: Ukrainisches Paar berichtet vom Krieg

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Von: Julius Kolossa

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Gebäude liegen in Trümmern: Die Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine wurde durch russischen Beschuss zum Teil zerstört. Viele Menschen sind gestorben. Diese Aufnahme entstand am ersten Weihnachtstag 2022.
Gebäude liegen in Trümmern: Die Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine wurde durch russischen Beschuss zum Teil zerstört. Viele Menschen sind gestorben. Diese Aufnahme entstand am ersten Weihnachtstag 2022. © Dpa

Es liegen etwa 2000 Kilometer zwischen Charkiw in der Ukraine und Balve im Hönnetal. „Charkiw war unsere Heimat, hier in Deutschland ist unsere neue Heimat“, erzählt Valerii. Ihren Nachnamen will sie aus Sorge um die Sicherheit ihrer Verwandtschaft nicht öffentlich machen.

Balve/Charkiw – Die 27-jährige studierte Lehrerin für Englisch und Literatur hat in Charkiw als Floristin gearbeitet. Ihr gleichaltriger Ehemann Maxim ist gelernter Koch. Das Familienglück wurde komplett durch die Geburt des gemeinsamen Sohnes Mark vor neun Monaten. „Wir sind in Sicherheit“, fasst Valerii ihre aktuelle Situation zusammen.

Das sah vor genau einem Jahr ganz anders aus. „Unsere Hochzeit war für den 24. Februar 2022 vorgesehen, und es war schon alles geplant.“ Valerii hat noch sehr genaue Erinnerungen. Sie erzählt darüber und über ihre gemeinsame Flucht, während ihr Mann sich um den kleinen Mark kümmert.

„Plötzlich waren an diesem Tag Sirenen und danach Raketen zu hören – wir packten unsere Sachen, und liefen aus unserer Wohnung im neunten Stock auf die Straße. Unsere Nachbarn, die ein Auto hatten, brachten sich damit bereits in Sicherheit.“ Ihre Familie hat kein eigenes Auto, sondern verblieb zunächst in Charkiw.

„Immer wieder schlugen Raketen ein, die von den Russen abgefeuert worden waren.“ Und im März 2022 traf dann ein Geschoss die Wohnung der Familie. Danach wohnte sie bei Mutter und Oma, im April dann zogen Valerii und Maxim schließlich nach Swedlowodsk um. „In der Zentralukraine, war es sicherer für uns.“

Dort kam dann auch Mark zur Welt. In der 10 000 Einwohner zählenden Stadt in der Nähe von Kiew waren nur die Sirenen zu hören, die vor Angriffen warnten. „Passiert ist dort nichts.“ Doch weil die Eltern auf Dauer ein sicheres Leben für sich und ihren Sohn wollten, entschlossen sie sich, im November die reguläre Buslinie nach Deutschland zu nehmen.

Gebäude liegen in Trümmern: Die Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine wurde durch russischen Beschuss zum Teil zerstört. Viele Menschen sind gestorben. Diese Aufnahme entstand am ersten Weihnachtstag 2022.
Gebäude liegen in Trümmern: Die Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine wurde durch russischen Beschuss zum Teil zerstört. Viele Menschen sind gestorben. Diese Aufnahme entstand am ersten Weihnachtstag 2022. © Dpa

Maxim konnte ausreisen, weil er ein gesundheitliches Attest hatte, was ihn vom Militärdienst befreite. Zwei Tage waren sie unterwegs, bevor sie am 10. November in Düsseldorf ankamen. Hier leben auch Familienangehörige von Maxim.

An eine dauerhafte Unterkunft war zunächst nicht zu denken: Man wurde registriert und musste in eine Flüchtlingsunterkunft. „Total überfüllt“, erinnert sich Valerii. Danach erfolgten Verlegungen nach Bochum und Büren. „Und hier waren wir in einem Zelt der Malteser untergebracht.“

Nächste Station war dann Balve. Dort kamen die drei am 6. Dezember an – und in der Unterkunft am Krumpaul unter. Die Ehefrau und Mutter meint dazu: „Es ist dort nicht ideal für eine Familie.“ Deshalb sei sie froh gewesen, ab Februar eine eigene Wohnung im Stadtgebiet beziehen zu können.

Valerii und Maxim lernen Deutsch, um auch sprachlich anzukommen. Denn, so Valerii: „In die Ukraine wollen wir nicht mehr zurück. Hier ist es besser, um zu arbeiten und zu wohnen. Und auch unser Sohn hat viel bessere Bedingungen.“ Ihr Ziel sei es, in ihren Berufen zu arbeiten. „Aber zunächst müssen wir die Sprache lernen.“

Und dann, irgendwann, wollen sie nach Düsseldorf ziehen, wo es mehr Möglichkeiten als in Balve gibt. „Dann sind wir auch in der Nähe unserer Familie.“

Nach wie vor mache man sich Sorgen um die Angehörigen in Charkiw. „Ich telefoniere täglich per Video mit meiner Mutter und meiner Großmutter. Dabei wollen beide natürlich den kleinen Mark sehen.“ Derzeit seien alle gesund. „Aber letztendlich ist doch alles schlecht dort.“

Eine Tante und ein Onkel seien in Charkiw verschüttet worden, und jeden Monat sterben Freunde – am 21. März starb ein Freund von Maxim, nachdem eine Rakete in seine Wohnung eingeschlagen war. Andere Freunde sind als Soldaten an der Front. Dortsind sie schwerem russischem Beschuss und Gefecht ausgeliefert.

Valerii hat noch das Heulen der Sirenen in den Ohren, als sie sich an ihre Zeit in der Ukraine erinnert. „In Deutschland wollen wir ein neues Leben für uns alle.“ Die täglichen Telefonanrufe mit ihrer Heimat gehören aber weiterhin dazu.

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