Einsatzkräfte: „Wir erleben fast täglich Übergriffe“

Berliner Verhältnisse gibt es im Märkischen Kreis nicht, und die Polizei hat auch nicht tagtäglich mit rivalisierenden Clans zu tun. Und dennoch: „Wir erleben fast täglich Übergriffe“, berichtete Marvin Barabo.
Altena – Der 32-jährige Polizeibeamte ist seit fast zehn Jahren im Streifendienst unterwegs. Bei einer besonderen Veranstaltung in dieser Woche schilderte Barabo, wie er die zunehmende Gewalt erlebt. Polizeiseelsorger Hartmut Marks hatte zu diesem Infoabend zum Thema „Gewalt gegen Einsatzkräfte und die Folgen“ eingeladen – er möchte Polizisten und Rettungskräfte bei diesem Thema nicht allein lassen und ein Statement gegen Gewalt und für ein respektvolles Miteinander setzen. Daran mangelt es in der Praxis. Das zeigt die aktuelle Kriminalstatistik, auf die der stellvertretende Abteilungsleiter Polizei Thomas Eckern verwies und die für das vergangene Jahr 218 Angriffe verzeichnet. Und das können auch die Einsatzkräfte aus eigener Anschauung bestätigen.
Prellungen und Schürfwunden
Es muss dabei nicht immer so drastisch ablaufen, wie bei einem Einsatz vor Weihnachten, als Barabo mit zwei jungen Kollegen in eine Wohnung gerufen wurde, um einen betrunkenen Familienvater, der sich dort nicht aufhalten durfte, abzuführen. Der Mann schlug die Beamten plötzlich ins Gesicht, bei der Rangelei in den engen Räumen fielen alle Beteiligten in eine Glastür. Es sei glücklicherweise nur bei Prellungen und Schürfwunden geblieben, berichtete Barabo jetzt. Ein anderer Kollege habe bei einem ähnlichen Einsatz aber eine zertrümmerte Kniescheibe davongetragen; man werde mit Böllern und Dachlatten beworfen, bespuckt. „Wir müssen darüber reden“, forderte der Polizeibeamte. Auch darüber, dass die Respektlosigkeit schon viel früher einsetze. Bei einfachen Verkehrskontrollen werde er ständig gefragt, ob er nichts Besseres zu tun habe. Bei der Frage nach dem Führerschein oder dem Anhalten nach Nichtbeachten einer roten Ampel werde schnell mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gedroht. „Blöde Kommentare sind an der Tagesordnung“, so Barabo.
„Ich zahle Steuern, deshalb darf ich das“
Das bestätigte auch Tobias Schelp, der ehrenamtlich mit Feuerwehr und Rettungsdienst unterwegs ist. Er selber sei glücklicherweise noch nicht angegriffen worden, wisse das aber von Kollegen. Auch der 28-Jährige erlebt aber fehlenden Respekt und Verständnis für seine Arbeit. Bemerkungen und Auseinandersetzungen unter dem Motto „Ich zahle Steuern, deshalb darf ich das. Ich muss da kurz durch. Muss das so laut sein? Die Kinder schlafen“ erschwerten und gefährdeten die Einsätze, die Menschenleben retten. Einiges habe sich in den vergangenen Jahren schon getan, bestätigten sowohl Barabo als auch Schelp. Die Ausrüstung für Polizisten sei noch nicht gut, aber besser geworden. Und auch im Rettungsdienst hat man nachgerüstet. Schelp berichtete von Panikknöpfen am Meldeempfänger oder bestimmten Funksprüchen, mit denen die Einsatzkräfte verdeckt Hilfe anfordern können. Auch Selbstverteidigungskurse und Deeskalationstrainings, für den Rettungsdienst eigentlich nicht vorgesehen, würden zum Standard.

Mit einer Gesetzesänderung sollte 2017 der Schutz von Vollstreckungsbeamten verstärkt werden. Was strafbar ist, wurde erweitert, der Strafrahmen erhöht. Mit der Wirksamkeit dieser Strafrechtsänderung beschäftigen sich an der Uni Köln die Juristinnen Katharina Becker und Nicole Seif. Sie stellten in Iserlohn erste Ergebnisse ihrer Untersuchung vor. Der Eindruck, der sich nach den doch sehr speziellen fachlichen Ausführungen einstellte: Die Verschärfung der Strafen allein hat nicht viel gebracht. Dennoch sollte jeder Vorfall gemeldet werden, wünschte sich abschließend Ralf Hövelmann. Er managt die Kampagne „Sicher im Dienst“, mit der das Land Nordrhein-Westfalen alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Blick hat. Entwickelt wurde ein Präventionsleitfaden, der allen potenziell Betroffenen, von der Erzieherin in der Kindertagesstätte über den Busfahrer bis zum Polizeibeamten, Maßnahmen und Handlungsrichtlinien empfiehlt. Außerdem ist ein Netzwerk für Beschäftigte im öffentlichen Dienst im Aufbau, das Hilfe und Unterstützung bieten soll. „Schlucken Sie nichts runter. Schaffen Sie Öffentlichkeit“, lautete der eindringliche Appell Hövelmanns und traf damit auch das Anliegen von Polizeipfarrer Marks, der weitere Veranstaltungen zum Thema plant: „Einen Endpunkt kann es nicht geben.“