Zwei Kinderwagen, Rucksäcke, Taschen und Tüten hatten Iryna und Yana in Windeseile gepackt. Nicht ganz freiwillig, nicht mit Enthusiasmus, sondern in Sorge. Denn die Entscheidung, vor dem Krieg zu fliegen, war keine leichte. „Meine Cousins wollten erst gar nicht, dass ihre Frauen wegfahren. Es war noch alles friedlich, die Kämpfe auf die Ost-Ukraine beschränkt, dachten sie. Ich habe dann Klartext geredet. Ich habe recht viel Druck ausgeübt, damit sie eine Entscheidung fällen konnten“, erzählt Oksana Czarny. Und das taten sie.
Am 24. Februar fuhren die Frauen mit ihren Kindern zur rumänischen Grenze. Doch die Autoschlange war so lang, dass sie sich entschieden, es zu Fuß weiter zu versuchen. Dramatische Szenen spielten sich ab, ein Lkw brannte an der Grenze, es gab Gedrängel und große Ängste.
„Über ganz tiefgründige Dinge haben wir noch gar nicht gesprochen. Egal, was ich anspreche, da fließen sofort die Tränen“, erzählt Oksana Czarny. In ihrem Haus i Altena sind jetzt alle zusammengerückt, um die fünf Gäste gut unterzubringen. „Hast du Socken für die Kleine?, hat mich meine Cousine gerade gefragt. In der Aufregung hat sie nicht daran gedacht. Wir schauen jetzt, was alles benötigt wird. Ich habe noch Zugang zu der Spendenausgabe der Flutopferhilfe, weil ich selber dort aktiv war“, sagt Oksana Czarny. Sie bedankt sich ganz herzlich für die Hilfe von ihrer Kollegin Beate, die Treppengitter brachte, und bei Christiane Frebel, die Kindersitze organisierte. Es ist in diesen Tagen eine Herzensangelegenheit aller, den Ukrainern Schutz und Hilfe anzubieten.
Im Verwaltungsvorstand, der jeden Montagmorgen tagt, war das Thema Flüchtlinge bereits wichtiges Anliegen. „Wir hoffen auf ein halbwegs koordiniertes Verfahren“, sagte der stellvertretende Verwaltungschef Stefan Kemper anschließend. Üblich war bisher, dass Flüchtlinge zunächst vom Land zentral untergebracht und dann an die Städte und Gemeinden weitergeleitet werden – nach einem Schlüssel, der die Größenordnung der jeweiligen Kommune berücksichtigt.
In erster Linie gehe es jetzt darum, sich einen Überblick über die Unterbringungsmöglichkeiten zu verschaffen, sagt Kemper. Kapazitäten, die die Stadt während der Flüchtlingskrise 2015 schuf, seien längst wieder abgebaut. Agnes Goniwiecha wird als für Flüchtlinge zuständige Abteilungsleiterin jetzt zusammentragen, welcher Wohnraum in städtischen Gebäuden zur Verfügung steht und außerdem auch Kontakt zur Baugesellschaft aufnehmen. „Wir rechnen damit, dass vor allem Mütter mit Kindern kommen werden, sagte Kemper – „denen wollen wir natürlich eine familiengerechte Unterkunft bieten“.
Hilfreich sei in dieser Situation das Netzwerk, dass 2015 für die Aufnahme der 100 zusätzlichen Flüchtlinge geschaffen worden sei, meint Kemper. Er hofft, dass Stellwerk, Kirchen und Hilfsorganisationen auch diesmal wieder mit anpacken, um Flüchtlinge unterzubringen und zu betreuen.
In Nachrodt-Wiblingwerde wurde auf Antrag der SPD-Fraktion gestern Abend im Sozial- und Kulturausschuss ebenfalls besprochen, wie eine gute Unterstützung für Flüchtlinge aus der Ukraine möglich ist. So sollen auch mit der Wohnungsbaugenossenschaft weitere Verabredungen zum Anmieten von Wohnungen getroffen werden, sofern Wohnraum zur Verfügung steht. Bürgermeisterin Birgit Tupat sieht überhaupt kein Problem, wenn nötig – zum Beispiel im Nachrodter Feld – Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Bis jetzt gibt es aber in Nachrodt weder von offizieller Stelle Nachrichten über Flüchtlinge, noch sind augenscheinlich Ukrainer bei Verwandten in der Doppelgemeinde eingetroffen. „Wenn das so sein sollte, kann man sich gerne bei uns direkt melden“, so Birgit Tupat.
Auch Michael Pohl aus Altena ist in großer Sorge. Er ist sowohl privat als auch beruflich mit Menschen aus Russland und auch aus der Ukraine befreundet.