Nach dem Corona-Koma: So lebt die Jugendarbeit wieder auf

Entspannte Musik wabert durch die Räume, zwei ältere Jungs spielen Billard, an der Theke sind ein paar Kinder und machen Zuckerwatte. Viel los ist gerade nicht im Juz 29, dem Altenaer Jugendzentrum an der Lüdenscheider Straße 29.
Altena – Gerrit Standke frustriert das ein wenig, schließlich hatten er und sein Team ganz viele Kinder und Jugendliche zu einer kleinen Party eingeladen. Vor einem Jahr wurde das Juz 29 nach mehr als zweijähriger Corona-Schließung wieder eröffnet.
Doch das Wetter ist nach vielen kalten und nassen Monaten an diesem Donnerstagnachmittag einfach viel zu gut, als dass es die Kinder in das zwischen Eisenbahnstrecke und Bundesstraße eingekeilte Haus locken würde.
Im Verlauf des Nachmittags kommen dann doch noch mehr Kinder und auch ein paar Jugendliche zur Party ins Juz, so haben die Honorarkräfte Angelina Landgraf und Marvin Böhland ganz gut zu tun. Gerrit Standke hat deshalb noch etwas Zeit bis zur nächsten Sitzung im Rathaus, um über seine Arbeit und vor allem über die Jungen und Mädchen in seiner Obhut zu sprechen.
Das Jugendzentrum gibt es an dieser Stelle tatsächlich schon seit zwanzig Jahren, die Eröffnung fand 2003 statt. Die rund 150 Quadratmeter gehörten früher zum technischen Rathaus. Die Lage zwischen Bahn und stark befahrener Hauptstraße ist trotz der fußläufigen Nähe zur Innenstadt eher ein Problem.
Viele Eltern sehen ihre Kinder nicht gerne dort, es ist ihnen zu gefährlich nah an der Straße. Wenn die Sonne auf die Räume drückt, kann auch nicht gut gelüftet werden, die Abgase ziehen durchs offene Fenster. Und wo viele Jugendliche sind, müffelt es auch schon mal.
Gerrit Standke lacht: „Dann riecht es hier oft sehr männlich.“ Das größte Problem aber ist die fehlende Außenfläche. Die gibt es am Jugendzentrum auf dem Nettenscheid, und Standke beobachtet, wie gern die Kinder bei schönem Wetter von sich aus nach draußen gehen.

Der 44-jährige Sozialarbeiter stammt aus Altena, sein Vater Manfred hat Jahrzehnte bei der Stadtverwaltung gearbeitet. Zum Studium ging er aus Altena fort, arbeitete zuletzt mit Kindern und Jugendlichen in Worms in Rheinland-Pfalz. Als die Stelle in Altena ausgeschrieben wurde, fühlte er sich berufen, wurde genommen und kam gern zurück in die alte Heimat.
Schon als Jugendlicher war er selbst Stammgast im damaligen Jugendzentrum an der Bornstraße, machte in der Ära von Dieter Becker Angebote für sechs- bis zwölfjährige Kinder.
Standke liebt seine Arbeit und steckt viel Lebensenergie hinein, zumal er neben der Leitung der Jugendzentren auch noch für die Ausgestaltung der Altenaer Spielplätze zuständig ist. Gremienarbeit gehört dazu, die Netzwerkarbeit läuft noch nicht ganz so intensiv, wie er sich das wünscht.
Als er kam, brach kurz darauf Corona aus. Alle Häuser wurden geschlossen. Zuerst durfte wieder der Nettenscheid öffnen, wegen der Außenflächen und weil dort gut gelüftet werden kann. Das Juz 29 stand noch lange unter Corona-Bann und wurde erst vor einem Jahr wieder geöffnet.
Seitdem gibt es ein offenes Angebot montags, dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr sowie alle zwei Wochen freitags im Wechsel mit dem Bürgerzentrum Nettenscheid. Eingelassen wird jeder bis 27 Jahre. Nachmittags kommen die Kinder, die Zehnjährigen dürfen bis 18 Uhr bleiben, dann wechselt das Publikum.
Beide Häuser erreichen etwa 100 Kinder und Jugendliche. Es wird genau protokolliert, wer wann kommt. Wenn das Juz 29 sehr gut besucht ist, sind fast 30 junge Leute da, dann ist es aber zu voll und zu laut. Ein guter Schnitt sind so 15 bis 20 Kinder, dann ist es immer noch schwierig zum Beispiel mit der Hausaufgabenbetreuung.
Doch auch der Nettenscheid hat sein Standortproblem: Die Kinder aus der Stadt müssen bis zu 45 Minuten am Markaner auf den Bus zum Nettenscheid warten, oft genug fahren die Eltern.

Neben Standke gibt es ein Team von 13 Honorarkräften im Alter zwischen 18 und 66 Jahren. Besetzt sein muss das Juz immer mit mindestens einem Mann und einer Frau. Die Kinder suchen sich ihre Bezugsperson selbst aus. Überhaupt sei Beziehungsarbeit der Hauptschwerpunkt der Arbeit. „Wir Erwachsenen sind auch dafür da, dass man sich an uns reibt“, so Standke und spricht von „groß werden in Grenzen“.
Käppi-Träger Standke wirkt nicht wie der früher häufig in der Sozialarbeiter-Zunft anzutreffende Berufsjugendliche, der seiner besten Zeit hinterherläuft. Im Gegenteil, Standke hat seine Rolle vollkommen klar: „Hier im Juz macht keiner auf Macker, da werde ich elektrisch.“
Für verbale Gewalt gibt es keinen Platz, selten, aber manchmal eben doch gibt es Hausverbot. Standke und das Team klären Streits zwischen den Jugendlichen an Ort und Stelle. Vor allem Jungs wollen schon mal stänkern, sich ausprobieren, gegen vermeintlich Schwächere vorgehen, ihre Kraft zeigen.
Standke zeigt klare Kante: „Wer austeilt, muss einstecken.“ Nur durch Reiben an Grenzen könne der junge Mensch wachsen. Kinder und Jugendliche sind dankbar für Grenzen und Leitplanken. „Die lernen hier, dass es Folgen hat, wenn wir Erwachsenen etwas sagen.“ Gern hätte er noch mehr Ältere im Team der Mitarbeitenden. Gesucht wird schon seit mehr als einem Jahr eine Person für den Bundesfreiwilligendienst.
Standke bietet Jugendlichen an, ihre aufgebrummten Sozialstunden im Juz abzuleisten. Die müssen dort sauber machen, aufräumen oder in der Küche helfen. „Das ist zusätzliche Arbeit für mich, aber ich finde das wichtig.“ Im vergangenen Jahr konnte er neun Jugendlichen Gelegenheit geben, Sozialstunden abzuleisten.
Nach einem Jahr im Juz 29 ist Standke im Großen und Ganzen mit seiner Aufbauarbeit zufrieden: „Wir mussten die Jugendzentren nach Corona aus dem Dornröschenschlaf wecken. Jetzt läuft es gerade wirklich gut.“ Außer vergangenen Donnerstag. Gegen den ersten richtigen Sonnenschein des Jahres hat auch der sonnigste Sozialarbeiter keine Chance.