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Kohlberg: Neubau für „Haus des letzten Versuchs“

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Von: Volker Heyn

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Vom geplanten Neubau existiert gerade mal eine abgezäunte Alibi-Baugrube. Der Neubau wird über einen Gang mit dem Kohlberghaus (hinten) verbunden. Tobias Hölscher und Martin Ihde (rechts) warten auf die Kostenzusage des Landschaftsverbandes.
Vom geplanten Neubau existiert gerade mal eine abgezäunte Alibi-Baugrube. Der Neubau wird über einen Gang mit dem Kohlberghaus (hinten) verbunden. Tobias Hölscher und Martin Ihde (rechts) warten auf die Kostenzusage des Landschaftsverbandes. © Heyn, Volker

In der geschlossenen Abteilung des Kohlberghauses wohnen zum Teil seit Jahrzehnten Menschen, die mit ihrer geistigen und psychischen Behinderung kaum woanders in Deutschland einen solchen Betreuungsplatz finden. Das Haus ist für sie oftmals die allerletzte Möglichkeit, ein wenigstens in Grundzügen eigenständiges Leben führen zu können. 68 Menschen wohnen dort, aber bald kommt der Aufnahmestopp.

Altena - Das Haus ist unmodern und bietet viel zu wenige Einzelzimmer. Betreiber Martin Ihde und sein junger Nachfolger Tobias Hölscher haben die Neubaupläne für ein zweites Kohlberghaus längst in der Tasche, jeden Tag warten sie auf die Genehmigung durch den Landschaftsverband. Der Neubau, noch einmal genauso so groß wie das bisherige Kohlberghaus samt Anbau, soll wirklich einzigartig werden: In „einer Art Voliere“ auf dem Dach sollen sich die komplett geschlossen untergebrachten Menschen unter freiem Himmel bewegen können. Balkone sind überdacht, der Neubau soll vollständig fluchtsicher werden. Doch noch ist kein Stein gesetzt, obwohl der Verlegungsdruck aus den Kliniken ganz enorm sei, wie Ihde (66) und Hölscher (29) betonen.

Diese recht junge Bewohnerin lebt in einem Einzelzimmer in der geschlossenen Unterbringung des Kohlberghauses. Die Einwilligung zur Veröffentlichung dieses Fotos liegt vor.
Diese recht junge Bewohnerin lebt in einem Einzelzimmer in der geschlossenen Unterbringung des Kohlberghauses. Die Einwilligung zur Veröffentlichung dieses © Heyn

Wie alle anderen Pflegeeinrichtungen auch, muss das Kohlberghaus eine bestimmte Einzelzimmerquote nachweisen. Zunächst plante Ihde, das Problem mit einer ständigen Verlegung aus der geschlossenen Abteilung in die dafür gegründeten Wohngruppen im „Netzwerk Lebensraum“ händeln zu können. Doch das gelang nicht. Die Quote der extrem auffälligen Menschen im Kohlberghaus ist hoch, nur wenige finden nach einer langen Stabilisierung den Weg in eine offene Wohngruppe. Ihde: „Wir sind also sehr spät in die eigentliche Planung für einen Neubau und einen Umbau gegangen.“

2015 war die erste Planung fertig. Es brauchte eine Baugenehmigung für den Bau im Außenbereich, auch der Denkmalschutz beim Kohlberghaus musste geklärt werden. Es dauerte sehr lange, bis alle Genehmigungen vorlagen. 2019 gab es die Baugenehmigung. Ihde: „Dann kamen die Krisen, und die Baukosten flogen uns um die Ohren.“ Er sei kurz davor gewesen, alles andere zu verkaufen, um das Haus zu retten. Zwischenzeitlich hatte Ihde mit Einrichtungsleiter Michael Voß und Pflegedienstleiter David Pauli mögliche Nachfolger, mit denen die Pläne aber am Ende nicht aufgingen. Ihde: „Wir hatten nichts Stabiles für die Banken.“

Die Zimmer der Bewohner sind nach deren persönlichen Vorlieben eingerichtet.
Die Zimmer der Bewohner sind nach deren persönlichen Vorlieben eingerichtet. © Heyn

2017 kam der Werdohler Tobias Hölscher in die Einrichtung. Er hatte das Gymnasium nach der 12. Klasse verlassen und wollte sich eigentlich im Finanzbereich selbstständig machen. Weil ihm dazu noch Geld fehlte, heuerte er bei Martin Ihde an, putzte Zimmer und Klos, half in der Hauswirtschaft. Hölscher, dem heute das Kohlberghaus gehört: „Ich fand das spannend, mit psychisch kranken Menschen zu arbeiten, es hat mich fasziniert.“ Die Selbstständigkeit im Finanzbereich war vergessen, stattdessen machte Hölscher bei einem freien christlichen Werk eine Seelsorgerausbildung. Gleichzeitig wechselte er in den sozialen Dienst im Kohlberghaus. Aus der halben Stelle wurde eine Vollzeitstelle, Hölscher arbeitete im Qualitätsmanagement und im sozialen Dienst. Als Hochbegabter sind die Zahlen sein Metier, Hölscher machte eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement, die er 2021 abschloss. Damit war er bereit für Größeres, auch das Vertrauensverhältnis zu Ihde stimmt. „In ihm habe ich den richtigen Mann gefunden, an den ich meine Schätzchen abgeben kann“, sagt Martin Ihde. Hölscher hat bereits alle Immobilien von Ihde erworben, neben ihm ist er stellvertretender Einrichtungsleiter. Beide sind Geschäftsführer.

Tobias Hölscher in einem Stationszimmer für Mitarbeiter. Er ist der Nachfolger von Kohlberghaus-Betreiber Martin Ihde. Hölscher ist bereits Besitzer der Immobilie.
Tobias Hölscher in einem Stationszimmer für Mitarbeiter. Er ist der Nachfolger von Kohlberghaus-Betreiber Martin Ihde. Hölscher ist bereits Besitzer der Immobilie. © HEYN

Nebenbei wurden die Neubaupläne vorangetrieben, doch die dreijährige Frist der Baugenehmigung drohte abzulaufen. Eine Alibi-Baugrube wurde ausgehoben, ein Zaun drumherum, damit war zumindest die Genehmigung verlängert.

Immer noch hängt alles an der Finanzierung. Die Baukosten müssen durch Pflegewohngeld hereingeholt werden. Der Bau wird durch einen finanziellen Aufwand pro Platz durch eine festgelegte „Angemessenheitsobergrenze“ finanziert. Der Aufwand für ein komplett geschlossenes Haus wie der geplante Neubau ist aber wesentlich höher als die Kosten für ein normales Pflegeheim. Darüber entscheidet gerade der Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Auf den Beschluss warten Hölscher und Ihde sehnlichst: „Wir wollen endlich bauen.“ Der Druck ist da, weil zum August 2023 der Belegungsstopp kommt.

Nach Neubau und Sanierung des Kohlberghauses können insgesamt 80 Menschen untergebracht werden. 34 im geschlossenen Neubau, 46 im dann auch renovierten Kohlberghaus.

Die Geschichte des Kohlberghauses als Pflegeeinrichtung

Der 66-jähriger Iserlohner Jörg Martin Ihde kaufte zusammen mit seinem Geschäftspartner Martin Kunz am 2. Juni 1992 die Villa Borbet, dort übernahmen die beiden christlich motivierten Männer ein Seniorenheim. 1994 kauften sie das traditionsreiche Kohlberghaus, das vormals ein Restaurant beherbergte und Jahrzehnte dem SGV als Identifikationsort diente. Kunz und Ihde richteten dort nach einem Umbau 1996 eine Pflegeeinrichtung für psychisch Kranke und geistig Behinderte ein. In der Villa Borbet ist jetzt eine offene Wohngruppe mit zwölf Menschen entstanden, die aus der Einrichtung am Kohlberg umziehen konnten. Neben der Gruppe in der Villa Borbet betreibt Martin Ihdes Neffe Pascal noch zwei weitere Gruppen in Balve-Sancoucci und an der Oberen Mühle in Iserlohn, alle drei Gruppen firmieren unter „Netzwerk Lebensraum“. Kohlberghaus-Mitinhaber Martin Kunz ist vor einem Jahr an Krebs gestorben. Ihde leitete das Haus von 2014 bis 2022 allein. Seit 2022 ist Tobias Hölscher aus Werdohl Besitzer der Kohlberg-Immobilien und geschäftsführender Gesellschafter. Martin Ihde will in Rente gehen, wenn der Neubau in Betrieb genommen ist.

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