Altena - Industrie 4.0 - für das Drahtwerk Finkernagel Tagesgeschäft. Dort gibt es nicht nur Draht mit digitalem Zwilling. Dort bestellt der Stickstoff-Tank auch selbst Nachschub.
14 der 16 Drahtzüge im Drahtwerk Finkernagel stehen gerade still. Das sieht Uwe Packruhn sofort, als auf der Leinwand im Sitzungszimmer viele blaue Punkte zu sehen sind. 16 Grafiken wirft der Beamer an die Wand, jede steht für einen der Züge und gibt Auskunft darüber, was ein Stockwerk tiefer in der Produktion passiert.
Die 14 blauen Punkte sind nichts Schlimmes: Es ist gerade Frühstückspause. Packruhn ist technischer Leiter für das Drahtwerk. Auf seinen Grafiken kann er noch mehr sehen: Welcher Draht läuft gerade für welchen Kunden über die Maschine? Wie viele Tonnen werden benötigt, wie viele sind schon fertig? Und wenn der Drahtzug steht, handelt es sich dann um eine Pause (blauer Punkt), um einen Defekt (dunkelgrün) oder um Rüstzeiten (gelb)?
Natürlich werden all diese Daten nicht nur erfasst, sondern auch gespeichert. In der Produktion steht ein großer Monitor, vor dem sich die Mitarbeiter bei Schichtbeginn versammeln und sich die Daten anschauen, die am Vortag aufgezeichnet wurden. Warum stand die Maschine still? Wieso hat eine notwendige Reparatur länger gedauert als sonst?
Zwilling durchläuft Produktion virtuell
Das sind Themen, über die dann geredet wird. Vernetzung, Digitalisierung, Datentransfer auch mit dem Kunden: Das sind Themen, mit denen sich das Unternehmen schon seit Jahrzehnten beschäftigt. Jeder Walzdraht, der angeliefert wird, bekommt einen „digital twin“, also einen digitalen Zwilling.
Während der echte Draht gebeizt, geglüht und gezogen wird, passiert sein Zwilling die entsprechenden Stationen in der Finkernagel-Software rein virtuell. So kann später jederzeit nachvollzogen werden, was in welchem Produktionsschritt passiert ist.
Die Gasuhr ist bei Finkernagel ebenso digitalisiert wie Strom- und
Wasserzähler. Das ermöglicht ressourcenschonendes Arbeiten. Der
Stickstofftank ist online und bestellt selbst Nachschub.
Automatische Mail: Draht in Spanien wird knapp
Mit vielen Kunden ist Finkernagel so vernetzt, dass Packruhn und seine Mitarbeiter stets über deren Lagerbestände auf dem Laufenden gehalten werden. Wenn beim Kunden in Spanien der Draht knapp zu werden droht, gibt’s eine vollautomatische Mail an das Drahtwerk in der Nette.
Packruhn wundert sich, wenn man sich über solche Abläufe wundert: Seit deutlich mehr als einem Jahrzehnt werde so verfahren. Schnittstellen, die den erforderlichen Datenaustausch zwischen den Unternehmen erst ermöglichen, seien längst internationaler Standard.
Neulich war der technische Leiter auf einem Seminar bei der Firma ABB, die Sensoren zur Überwachung von Maschinen herstellt. Es sei mit relativ geringem Aufwand möglich, Komponenten wie den Motor eines Drahtzugs so zu überwachen, dass sich anbahnende Probleme rechtzeitig erkannt und behandelt werden können, bevor ein größerer Schaden entsteht. Eine solche Umrüstung bestehender Maschinen heißt Retrofit.
Reizthema Datenschutz
Finkernagel hat keine 100 Mitarbeiter. Wie wuppt ein solcher Betrieb eine solche Herausforderung? Eine große Rolle spielen die Anlagenhersteller, sagt Packruhn. Mit ihnen wird abgesprochen, welche Daten einzelne Maschinen wie zu liefern haben.
Eine große Rolle spiele auch die werkseigene Instandhaltung, die auch für die Elektronik der Maschinen zuständig ist: „Zehn Prozent der Mitarbeiter in unserer Produktion arbeiten in diesem Bereich“, erklärt Packruhn.
Wegen der großen Bedeutung des Themas wird für 2020 wieder ein Auszubildender für den Beruf des IT-Systemelektronikers gesucht. In der EDV sorgt Mark-Philippe Hohmann für reibungslose Abläufe. Er muss sich auch um Reizthemen wie die Datenschutzgrundverordnung kümmern.
Solche Gesetze würden kleine und mittelständische Unternehmen stark belasten, schimpft Packruhn. Hinderlich seien auch das schlechte Mobilfunk- und Datennetz am Standort an der Westiger Straße.