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„Remix“: Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte richtet eine Galerie für seine Gemälde ein

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Von: Ralf Stiftel

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Pieter Claesz: Stillleben mit Schinken Museum Kunst und Kulturgeschichte Dortmund
Meisterlich stellt Pieter Claes in seinem Stillleben mit Schinken (um 1635) Materialoberflächen und Lichtreflexe dar. Das Bild ist in Dortmund zu sehen. © Spiler/MKK

Dortmund – Streng schaut sie drein, die Dame auf dem Gemälde von Jan Cornelisz Vermeyen. Arm wird sie nicht gewesen sein. Man sieht es am Pelzbesatz ihres Gewandes und an dem Ring an ihrer rechten Hand. Ihren Namen kennen wir nicht, aber der Künstler notiert im Bild, dass er sie 1550 im Alter von 58 Jahren gemalt hat. Der flämische Meister hat ihr Gesicht ungeschönt dargestellt, kaschiert nicht das Doppelkinn, die Hakennase, die Falten um die Augen, die Runzeln an den Händen.

Das so lebensnahe Porträt ist im Museum für Kunst und Kulturgeschichte zu sehen. Eigentlich schon seit vielen Jahren sogar, aber nun hat man die Chance, es neu zu entdecken. Das Haus sortiert seine Sammlung neu, bis zum Jahr 2030 soll die Dauerausstellung komplett neu gehängt werden, kündigt Museumsdirektor Jens Stöcker an. Die aktuelle Präsentation ist mehr als 20 Jahre alt. Die Sehgewohnheiten haben sich geändert. Auch aus praktischen Gründen muss etwas geschehen: Zur Zeit braucht Stöcker acht Mitarbeiter, um eine kaputte Glühlampe zu wechseln. Grund ist eine Installationstechnik, die solche Eingriffe nicht vorsieht. Festbetoniert nennt Stöcker das. Die Kunst soll in Bewegung kommen, die Säle sollen nicht so voll gepackt werden und durch häufigere Austausche soll Bewegung in die Präsentation kommen, so Stöcker.

Als Kostprobe und Vorgeschmack gibt es nun die Ausstellung „Remix“. In der Clubszene und der Musik meint der Begriff die Neuinterpretation, die Variation eines bekannten Stoffes. Für die Schau hat Kurator Christian Walda die Gemälde und Skulpturen des Hauses aus der Dauerausstellung entfernt und im Wechselausstellungsbereich neu inszeniert. Gut 73 000 Objekte besitzt das Museum, eine der reichsten Sammlungen der Region. Rund 230 Gemälde sind darunter, mit denen man einen Querschnitt durch die Kunstgeschichte vom Mittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts geben kann. Dieser Schatz wird jetzt neu erschlossen, statt ihn im großen Gesamtbild von Archäologie, Stadtgeschichte, Kunsthandwerk, Fotografie zu verstreuen. Walda hat eine veritable Gemäldegalerie geschaffen.

Gemälde Caspar David Friedrich „Winterlandschaft mit Kirche“ (1811) Museum Kunst und Kulturgeschichte Dortmund
Religiös aufgeladen ist Caspar David Friedrichs „Winterlandschaft mit Kirche“ (1811): Der Betende braucht die Krücken des Weltlichen nicht mehr. © Albrecht/MKK

Rund 110 Gemälde und Skulpturen sind zu sehen. Sie bieten gleichsam einen Crashkurs durch 800 Jahre Kunstgeschichte. Gleich zum Anfang begegnet man einem der Schwerpunkte des Hauses mit einem prachtvollen Ensemble sakraler Gemälde und Skulpturen des Mittelalters. Der Besucher geht auf das monumentale romanische Chorbogen-Kruzifix (um 1180) zu, das aus Aplerbeck ins Museum kam. Schroff und expressiv wird das Leiden des Gekreuzigten dargestellt. Eine kleine Tafel mit Maria und dem Christuskind (1400–1420) stammt vom wohl berühmtesten alten Meister aus Dortmund, Conrad von Soest. Weitere Gemälde stammen vom Meister von Liesborn, von Lucas Cranach, aus der Werkstatt von Rogier van der Weyden.

Weniger dicht ist die Sammlung im Bereich der frühen Neuzeit, von Renaissance und Barock. Aber in Dortmund hat man doch Werke der berühmtesten Künstler vorzuweisen. Ein monumentales Gemälde mit der dramatischen Darstellung des gefesselten Prometheus, dem ein Adler bei lebendigem Leib die Leber frisst, stammt aus der Werkstatt von Peter Paul Rubens (um 1618). Eine winterliche Dorfszene voller Details aus dem Alltag (um 1600) ist ein Gemeinschaftswerk von Jan Brueghel d.Ä. und Josse de Momper. Meisterlich gibt Pieter Claesz in seinem Stillleben eines gedeckten Tisches (um 1635) die Stofflichkeit eines angeschnittenen Schinkens wieder, imaginiert ein knuspriges Brötchen, lässt das Licht aufblitzen in Silbergeschirr, einem Weinglas, auf einem kleinen irdenen Krug.

Einen gewichtigen Schwerpunkt bildet in der Sammlung wiederum das 19. Jahrhundert, von der Romantik bis zum Impressionismus, überwiegend mit Werken deutscher Künstler. Das beginnt mit zwei Meisterwerken von Caspar David Friedrich, der „Winterlandschaft mit Kirche“ (1811) und dem „Junotempel von Agrigent“ (nach 1826), in denen der Erzromantiker scheinbar realistische Landschaftsansichten mit spiritueller Bedeutung auflädt. Als wilde Naturidylle hingegen stellt William Heaton Rudolph um 1840 „Das Ruhrtal bei Blankenstein“ dar, ganz ohne eine religiöse Überhöhung.

Berühmt ist auch Carl Spitzweg für seine Beschwörungen einer vermeintlich heilen Vergangenheit. Von ihm hat das Museum das Gemälde „Ständchen bei Mondschein“ (1872). Ein in der Stofflichkeit und im nächtlichen Lichtfall virtuos ausgeführte Szene vom nächtlichen Ständchen auf einer Gasse ohne Passanten. Ein paar Schritte weiter ist ein Bild, in dem Gotthard Kuehl sich an die damalige Gegenwart wagt: „In der Leihanstalt“ (1873) erzählt von der Not der Besitzlosen, die ihre letzte Habe verpfänden müssen. Und was wäre passender für ein Dortmunder Museum als die „Büste eines Bergmanns mit geschulterter Axt“ (vor 1898) des belgischen Bildhauers Constantin Meunier?

Mit großartigen Porträts wartet die Schau auf, wie Anselm Feuerbachs „Nanna“ (1862) und „Othello“ (1871). Von dem westfälischen Künstler Theobald von Oer, der an der Akademie in Düsseldorf studierte, besitzt das Haus viele Werke. Sein „Bildnis einer Italienerin“ (1837) fängt einerseits den nachdenklichen Seitenblick überzeugend ein, verallgemeinert aber zugleich: Diese junge Schönheit steht für den Reiz der Südländerin als solcher.

Auch die Größen des deutschen Impressionismus sind mit starken Stücken vertreten. Lovis Corinth mit dem wuchtigen Historienbild des Götz von Berlichingen (1917) und einer kleinen Marine („Ostsee“, 1902), Max Liebermann mit dem hinreißenden Pastell-Bildnis des Bankdirektors Stern (1906), Max Slevogt mit dem kraftvollen „Selbstporträt mit Pinsel und Palette“ (um 1895) und dem Bild „Steinbruch bei Albersweiler“ (1913), bei dem die Farbe fast wie bei einem Relief modelliert ist.

Endlich können sich diese Bilder in einer großzügigen Hängung frei entfalten. Mindestens bis Anfang 2025 soll diese Präsentation zu sehen sein.

Eintritt frei, di – so 11 – 18, mi, do bis 20 Uhr,

Tel. 0231/ 50 26 028, www.dortmund.de/mkk

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