„Westfälische Wege in die Moderne“ zeigt das Peter August Böckstiegel Museum in Werther

Nach dem Ersten Weltkrieg verließen einige Künstler die Vereinigung „Rote Erde“ in Bielefeld. Es wurde „Der Wurf“ gegründet. Eine Ausstellung im Böckstiegel-Museum in Werther zeichnet die Geschichte nach.
Werther – Die orangefarbenen Blüten, die üppige Baumkrone und der Blick auf eine Stadtsilhouette in der Ferne sind auf dem Gemälde „Mohnblumenfeld“ eine stimmungsvolle Ansicht. Das Landschaftsbild von Ernst Sagewka weist allerdings noch eine ganze Reihe von Grabkreuzen auf, die im Baumschatten und auf den Wiesen stehen. 1919 war die Welt eine andere. Selbst eine Stadt-Land-Impression nimmt die Spuren des 1. Weltkriegs auf und erinnert an die Opfer – auch in Westfalen. „Heldengräber“ lautet Sagewkas zweiter Titel für dieses Werk.
Die Ausstellung „Westfälische Wege in die Moderne“ im Museum Peter August Böckstiegel in Werther zeigt, wie das Fronterlebnis die künstlerische Arbeit beeinflusste. Ausdruck dieser Erfahrung ist die Secession „Der Wurf“, die sich 1919 von der Künstlergruppe „Rote Erde“ abspaltete. Heinz Lewerenz, Hermann Freudenau, Max Westhäuser und Erich Lossie ließen die „Rote Erde“ hinter sich. Initiator von „Der Wurf“ war Herbert Behrens-Hangeler, der aus Berlin nach Bielefeld kam und für Diskussionen sorgte. Was soll Kunst in einer Gesellschaft bewirken? Welche Rolle nehmen der Künstler und sein Werk ein?
112 meist kleinformatige Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und Fotos werden in Salonhängung präsentiert. Außerdem bietet Museumsdirektor David Riedel mit sechs Skulpturen, 20 Schmuckstücken, einem Wäscheschrank und Gebrauchsgrafiken die bisher umfangreichste Schau seines Hauses. Es ist eine kunsthistorische Präsentation gelungen, die den Sachstand zu beiden Künstlervereinigungen aktualisiert und korrigiert. So ist die „Rote Erde“ bereits 1907 gegründet worden, als sich Studenten der Klasse Ludwig Godewols’ auf der Handwerker- und Kunstgewerbeschule Bielefeld zusammentaten – bisher galt 1909.
Das Böckstiegel-Museum feiert die Moderne mit großer Vielfalt: bäuerliche Kulturlandschaft, der Wald, die Stadt, Porträts, religiöse Ansichten, menschliche Figur, abstrakte Kompositionen und Industriebilder. „Im Steinbruch“ (1912) von Peter August Böckstiegel (1889–1951) ist ein Sujet, das weniger bedient wurde. Sein expressiver Linienstrom dramatisiert die harte Arbeit unter sengender Sonne mit drängender Farbenpracht.
Ein Schwerpunkt liegt auf über 20 Arbeiten von Heinz Lewerenz (1890–1939). Sein Nachlass wurde ausgewertet. In Bielefeld geboren studierte der Künstler von 1919–1923 wie Böckstiegel in Dresden. Er zählte zu den „Schaffenden“. Sein Bild „Im Biergarten“ (1922) könnte ein launig-szenisches Porträt dieser Gruppe sein – mit viel Wein und Bowle. Bereits 1920 verkaufte Lewerenz drei Zeichnungen an das Dresdener Stadtmuseum. Seine Erfolg wurde in der Bielefelder Presse gewürdigt. Es gab Kontakte zu Otto Dix und Otto Griebel. Als Professor in Kassel (ab 1923) aquarellierte Lewerenz vor allem Landschaften und Paare. Ansichten, die er von seinen Reisen mitbrachte, und die sich von Zeichnungen wie der expressiven „Aktstudie“ und der „Nachtstunde“ als kosmische Reflexion auf die Welt (beide 1920) sehr unterschieden.
Hermann Freudenau (1883–1964) war Malermeister von Beruf. Morgens von 5 bis 7 Uhr stand er vor der Staffelei, danach ging es ins Geschäft. Aus geometrischen Formen und Farbverläufen hat er das austarierte Bild „Komposition“ (1921) geschaffen. Ihm gelangen vor allem dunkle Farbtableaus. Er stellte mit der „Novembergruppe“ in Berlin aus, die radikal sein wollte wie die November-Revolution von 1918. In den 1930er Jahren wurde Freudenau wieder realistischer. Nach 1945 knüpfte er an seine 1920er Jahre an.
Auch von Herbert Behrens-Hangeler ist in Werther eine „Composizion“ (1918) zu sehen. Der Maler, Dramatiker und Lyriker provozierte mit seinem Selbstverständnis. Zu Peter August Böckstiegel soll er gesagt haben, es „hat sich ausgestiegelt“. Der Provokateur ging Ende 1920 wieder nach Berlin. Er arbeitete als Sportreporter, Korrespondent für Zeitungen, Drehbuchschreiber, verfasste Romane und Dramen.
Auf den „Wurf“-Abenden der Künstlergruppe wurde expressive Lyrik vorgetragen. Auch abstrakte Kunst war in Bielefeld erstmals vertreten. 1924 fand die erste internationale Schau statt. 38 Künstler und drei Künstlerinnen aus 14 Ländern stellten im städtischen Museum aus. Bielefeld blieb aber skeptisch.
Die Konkurrenz zwischen „Rote Erde“ und „Der Wurf“ führte dazu, dass 1928 ein städtisches Kunsthaus eingerichtet wurde. Man brauchte Raum für Bilder.
Das Böckstiegel-Museum präsentiert 70 noch nie öffentlich gezeigte Werke. David Riedel und sein Team wurden in Museumsdepots, Archiven, Privatsammlungen und auf Dachböden fündig. Der Museumsdirektor hofft, dass „Westfälische Wege in die Moderne“ einen Impuls setzt, mehr über Künstler der Region zu erfahren. Zu sehen sind Holzschnitte von Theodor Steinkühler mit religiösen Themen, sechs filigrane Skulpturen von Erich Lossie, „Blühende Obstbäume“ von Max Schroer, über den wenig bekannt ist, und Skizzenbücher von Reinold Becker, der wie Wilhelm Schitz den 1. Weltkrieg nicht überlebte. Und neben expressiven Grafiken von Max Westhäuser finden sich seine „Einlasskarten“ zu den Festen der „Roten Erde“. Eine Vitrine ist voller Gebrauchsgrafik. Die Künstlergruppe wollte auffallen in Bielefeld – mit Sonnenwendfeiern und Mottopartys.
Eine besondere Position nahm der Maler und Gestalter Wilhelm Schabbon (1890–1962) ein. Nach seiner schweren Hüftverletzung im Krieg trat er 1916 in die Goldschmiede von Rudolf Feldmann ein. Aus Silber und Kupfer trieb er plastischen Schmuck, ein Novum für die Zeit. Bisher dienten die Metalle als Trägermaterial für Steine und Perlen. Schabbon fiel auf, und 1920 bot ihm Walter Gropius die Metallwerkstatt am Bauhaus an. Doch Schabbon verließ nach wenigen Monaten Weimar. Ihm waren Frau und Heimat wichtiger. Ringe, Ketten, Broschen und ein Schmuckkasten sind in Werther ausgestellt wie Schabbons „Wäscheschrank“ (1920) aus eckigen Grundformen in Gelb, Weiß, Schwarz, Blau und Rosa.
Peter August Böckstiegel wandte sich 1923 von der „Roten Erde“ ab. Viele Künstlerkollegen boten sich Bielefelder Firmen als Werbegestalter an. Das missfiel dem westfälischen Expressionisten. 1930 wurde die Künstlergruppe aus dem Vereinsregister gestrichen. Bisher hieß es, dass die Nationalsozialisten 1933 die „Rote Erde“ verboten hätten. Auch diese Überlieferung wird in Werther korrigiert. „Der Wurf“, bereits 1921 aufgelöst, existierte bis 1930 nur noch als Ausstellungsgemeinschaft.
Bis 23. 4.; mi – so 12 – 18 Uhr; Tel. 05203/2961 220; Der Katalog (25 Euro) ist schon jetzt ein Standardwerk. Auch die „Schanze“ in Münster und die junge Kunst in Soest finden sich.
www.museumpab.de