Mit der Rede endet das Fest nicht. Die Familie will die gutbürgerliche Fassade um den erfolgreichen Hotelier wahren. Das Schreckliche darf einfach nicht sein. So mühen sich reihum die Schwester Helene, der Bruder Michael, Vater, Mutter, Onkel, erst alles zu beschweigen, dann abzustreiten. Bis hin zur besonders infamen Ansprache der Mutter, die die Anschuldigung als Fantasiegespinst abtun will, als Kopfgeburt eines schon immer einfallsreichen Kindes, das sich früher den unsichtbaren Begleiter Snut ausgedacht hatte. Dabei wurde sie sogar Augenzeuge eines Übergriffs. Es ist ein langer Kampf, den Christian austragen muss, bis am Ende der Patriarch entmachtet abtritt.
Wie stark diese Geschichte ist, wie sehr sie auch 24 Jahre nach dem Film noch einen Nerv trifft, das zeigt die Inszenierung überzeugend. Regisseur Dahlem hat einige weitere Ergänzungen und Änderungen vorgenommen. Am Anfang steht das Ensemble vor dem Vorhang, spielt weniger als dass es vorträgt. Eine Familienaufstellung. Nach einem kurzen Intermezzo mit Live-Video werden alle Möbel an Seilen hochgezogen, darunter spielen sie, und das deutet an, dass aufgedeckt wird, was unter dem Sofa, hinter dem Schrank versteckt wurde. Zugleich schweben die Möbel wie eine Drohung über der verrotteten Familie. Ausstatterin Claudia Kalinski gelang ein suggestives Bühnenbild.
In der guten Gesellschaft stößt Tochter Helene wegen ihrer Affären an. Aus ihrem farbigen Geliebten Gbatokai wird in Essen die Geliebte Luzolo, so dass neben den rassistischen auch die homophoben Vorurteile toben dürfen. Wenn Darstellerin Azizè Flittner unvermittelt aus der englischen Sprache ins Deutsche wechselt und die Beherrschung verliert, dann hat das eine schöne Wucht.
Dahlem setzt außerdem auf eine rauschhafte, surreale Atmosphäre, die sich immer wieder in Tänzen und Gruppenbewegungen entlädt. Das wird von der Musik des Geysir Quartetts gut unterstützt: Beim Nirvana-Hit rockt das Kammerensemble sogar richtig.
Auch die Darsteller machen ihre Sache gut. Philipp Noack zeigt die psychischen Verletzungen des Christian ebenso wie die Energie, die er entwickelt, um sich durch die klärende Aussprache zu befreien. Eine Hamlet-Figur, von Zweifeln und Skrupeln geplagt, die sich zu faulem Einlenken beschwatzen lässt, sich aber aufrappelt zum nächsten Angriff. Jens Winterstein als Vater Helge ist ein glaubhafter Patriarch, ein resoluter Anpacker, der bei der ersten Begegnung, noch vor dem Eklat, seinen erwachsenen Sohn in den Schwitzkasten nimmt, einer, der zu reden und zu führen weiß. Ines Krug spielt die Mutter Else mit einer verbindlichen, ausgleichenden Haltung, hinter der sich die Fähigkeit zu psychischem Druck verbirgt. Trixi Strobel als Linda weht wie ein Luftgeist mit aufgerissenem Kleid durch das Geschehen, wie eine meist stumme Mahnung.
Daneben bleiben die Geschwister blass, Sabine Osthoff als Helene, die den verräterischen Abschiedsbrief Lindas findet und verbirgt. Und Alexey Ekimov, der als Bruder Michael das Prollige sehr dick aufträgt. Auch Helmut Migge als Freund des Hauses und „Toastmaster“ erzählt einige blöde Kalauer zuviel und zeigt ein paar Mal zu oft die Slapstick-Nummer mit dem Hinfallen.
Das nimmt aber dem Abend nichts von seiner erzählerischen Kraft. Dahlem strich dem besiegten Vater auch die kalten Rechtfertigungssätze zum Schluss. Der gestürzte Herrscher geht stumm ab, während seine Kinder einige Sätze sprechen, mit denen Täter ihre Opfer dazu bringen, nichts zu verraten, etwa, dass „Papa ganz traurig wird“, wenn andere davon erfahren. Ein etwas didaktischer Abschluss, der aber mit guten Gründen den Fokus auf die schwächsten Beteiligten richtet. Großer Jubel für einen guten Saisoneinstand.
31.8., 17., 18., 29.9., 28.10., Tel. 0201/ 8122 200, www.theater-essen.de