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John von Düffels Stück „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl“ in Oberhausen

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Von: Ralf Stiftel

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Szene aus dem  Stück „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl“ am Theater Oberhausen mit Anke Fonferek.
Zur übergroßen Strippenzieherin ihres Lebens wird die Filmemacherin im Stück „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl“ am Theater Oberhausen, hier zweimal „Leni85“ (Anke Fonferek). © Monika Forster

Oberhausen – Es gibt nicht eine Leni Riefenstahl in diesem Stück, sondern drei. Die junge Leni flaniert mit dem bemerkenswert blonden Hitler vor projizierten Meereswogen. Und gerade, als der Politiker die Schauspielerin bittet, für ihn zu tanzen, ruft Leni85 dazwischen: „Cut!“ Sie hat die Kontrolle. Sie hat diese Szenerie mit großen Gesten heraufbeschworen, die Wellen und die übergroßen Möwen, als wäre sie Prospero. „So war es nicht“, stellt sie klar. Und sie spricht von den Lügen und Erfindungen, die über sie verbreitet wurden.

Dürfen wir also in John von Düffels Stück den Titel beim Wort nehmen, erfahren wir „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)“? Was hat uns ein Bühnenstück über die Filmemacherin zu sagen, die einige der wichtigsten Propagandafilme des Nationalsozialismus schuf wie „Triumph des Willens“ (1934) über den Parteitag der NSDAP und die zweiteilige Dokumentation über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Kathrin Mädler inszeniert die Uraufführung am Theater Oberhausen im ersten Teil als grelle Farce über eine skrupellose Karrieristin. Und im zweiten Teil als boshafte Polemik gegen eine tief in die Kultur der Nationalsozialisten verstrickte Täterin, die mit allen Mitteln ihren Nachruhm sichern will. Das führt am eigentlich erledigten Fall vor, wie Wahrheit zur Disposition gestellt wird. Hat Leni Riefenstahl ihren Roma-Komparsen aus Konzentrationslagern Schutz und Leben versprochen? Hat sie sie alle nach 1945 wiedergetroffen, heil und unversehrt, und haben sie von der Regisseurin geschwärmt? Oder ging es nicht doch um Zwangsarbeit, damit die Kosten für „Tiefland“ sinken, den teuersten Film der NS-Zeit? Die Leni85, die in der Rückschau auf der Bühne eingreift, retuschiert, schönt, verbreitet alternative Fakten, schon bevor der Begriff erfunden wurde.

Es ist ein kluger Einfall, die Protagonistin aufzuspalten in drei parallele Figuren. Die Ungreifbarkeit und Künstlichkeit der historischen Person wird dadurch kenntlich gemacht, Eindeutigkeit ist nicht zu bekommen. Der erste Teil blickt zurück in die NS-Zeit. Da wird Leni vom verdoppelten Hitler umworben. Das sind grelle Szenen, wenn die beiden Führer-Darsteller der Filmemacherin erst nahrücken, ihren Hals beschnüffeln wie ein durstiger Vampir, später vor ihr auf die Knie fallen wie bei einem kitschigen Heiratsantrag, dann heiser kläffen und die Hände heben wie aufdringliche Köter. Oder wenn ein besonders schmieriger Goebbels mit ihr sein Morphium teilt. Oder wenn sie in einer schrägen Bettszene Goebbels‘ schöne Frau Magda verführt.

Im zweiten Teil geht es um die Nachkriegszeit, um die fragwürdige Aufarbeitung von Riefenstahls Rolle durch Justiz und Medien in der Bundesrepublik. In gewisser Weise will von Düffel die Filmemacherin Nina Gladitz rehabilitieren, die von Riefenstahl in den Ruin prozessiert wurde. Gladitz hatte in einem Dokumentarfilm gezeigt, wie Riefenstahl mit den Roma-Zwangsarbeitern umging. In Oberhausen kommt sie als verhärmte Figur auf die Bühne, die neben den drei Lenis in knallroten Abendkleidern buchstäblich verblasst.

Die surreale Künstlichkeit ist ein Kunstgriff der Inszenierung. Die verdreifachte Protagonistin ist für schöne Effekte gut. Mal rückt die eine aus dem Off zurecht, wenn ihr anderes Ich einen Moment zu großer Ehrlichkeit hat. Mal ballen sie sich zum mehrköpfigen Schlangenwesen zusammen und überkreischen Angriffe mit purer Redegewalt. Mit Maria Lehberg, Ronja Oppelt und Anke Fonferek ist dieses teuflische Trio schon ein sicherer szenischer Gewinn. Diesem Monster glaubt man die Naivität der jungen Frau ebenso wie die abgefeimten Intrigen der späten Jahre.

Regisseurin Mädler setzt zudem auf große Bilder wie die Strandszenerie vom Anfang, auf der dann auch das übergroße Gesicht Fonfereks erscheint. Später wird „Tiefland“ als Puppenhaus per Video zum Spielort, an dem Leni als Dea ex machina Figuren umwirft und aus dem Spiel nimmt. Diese Effekte bringen das Motiv der Wahrheitssuche voran (Ausstattung und Video: Mareike Delaquis Porschka).

Es ist auch gut, dass Philipp Quest und Torsten Bauer die Hitler-Figur nuanciert behandeln. Manchmal erscheint der Diktator als Romantiker verklärt. Das typisch schnarrende Hitler-Sprech nutzen Quest und Bauer nur zeitweise. Jens Schnarre ist ein schön schmieriger Goebbels. Später schlüpfen sie in andere Rollen: Quest spielt Nina Gladitz verhuscht, schon das Äußere macht sie zur Verliererin. Besonders boshaft zeigt Jens Schnarre die Publizistin Alice Schwarzer als Riefenstahl-Verteidigerin. Zum Abschluss feixen die Lenis mit dem Durchhalteschlager „Davon geht die Welt nicht unter“ über ihre Kritikerin. Eigentlich richtet sich der Hohn gegen eben die Welt, die den zynischen Wirklichkeitsklitterungen der Lenis von einst und jetzt aufsitzt. Großer Beifall für einen erhellenden und unterhaltsamen Abend.

17., 19. 3., 2.4., 13.5.,

Tel. 0208 / 8578 184, www. theater-oberhausen.de

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