In der Bühnenfassung von Angela Obst ist die Handlung aufgelöst in eine Folge von eher zufälligen Szenen. Da gibt es noch den leidenschaftlichen Kuss zwischen dem Arzt Alexander Wertmann und dem Patienten Marius Huth (im Film eine Frau), und man erfährt von einer unheilbaren Krebserkrankung. Anne Cathrin Buhtz spricht von ihrem unerträglichen Durst. Aber diese Momente werden nicht in einen Kontext gestellt wie im Film, sie sind einfach da. Was aber auch gut funktioniert. Heute geht es ja auch öfter um Stimmungen als um Fakten. Erklärungen werden überschätzt.
Simons bedient souverän die Klaviatur der paradoxen Stimmungen. Das Szenario der Katastrophen bietet viel Raum für komische Momente. Schon in den „Psalmen und Popsongs“ (wie der Untertitel des Abends lautet) arbeitet das großartige Ensemble gegen den Grundton der Musik. Cindy Laupers trotzig-optimistischer Positionsbestimmung „Girls Just Wanna Have Fun“ löst Sandra Hüller in tränenschwere Verzweiflung auf. Im Gegenzug tragen sie als Chor Bachs Vanitas-Hymne „Alle Menschen müssen sterben“ voller Heiterkeit vor, als gäbe es keine beglückendere Botschaft.
Die musikalischen Einlagen bündeln und binden die Szenen. Sie tauschen Floskeln aus wie „Sie sehen gut aus“, die längst den Sinn verloren haben. Das atmet manchmal die melancholische Stagnation eines Tschechow-Stücks. Es wirkt selbstbezüglich wie Pirandello, nicht zuletzt, weil alle Akteure sich hier mit ihren wahren Namen anreden. Nicht einmal der Raum folgt mehr der üblichen Theaterübereinkunft, das Publikum an einen fiktiven Ort zu bringen. Bühnenbildner Johannes Schütz setzte in das Klassenzimmer eine große Leinwand, auf die die auf einer Schiene laufende Live-Kamera Nahaufnahmen einzelner Akteure projiziert (Video: Voxi Bärenklau). Dabei kommt es nicht zur Interaktion zwischen den Darstellern und den Schwarz-Weiß-Bildern. Alle diese Elemente sind im Detail zufällig, absurd. Aber in der Zusammenschau ergibt sich ein überzeugendes Amalgam aus bösem Witz und Depression.
Das allerdings bricht Simons auf mit zwei Auftritten eines Kindes. Mina Skrövset tritt vor und hält ein Referat über das Perlboot, ein Meeresweichtier, und später über die Wohnungssuche bei Bienen. Da halten die Insassen inne, kommen zur Ruhe. Bis das Mädchen abtritt und der geschäftige Leerlauf der Panik weitergeht.
Der Abend ist auf Sandra Hüller zugeschnitten, die die Popsongs von Portishead, Mariah Carey und anderen vorträgt, sehr gegen den Strich, oft kaum erkennbar. In den Chorälen setzt sie manchmal grelle Koloraturen. Sie macht sogar aus bloßem Atmen Musik, keucht, zischt, räuspert sich, ehe sie sich für den schönen Abend bedankt. Ein Liederabend mit ihr wäre bestimmt spannend. Aber die prominente Darstellerin bleibt doch im Kollektiv, findet in den anderen kongeniale Widerparts. Zwischendurch greifen Alexander Wertmann und Roman Kanonik sich Schultische und nehmen sie als Luftgitarren. Sie alle rotieren durch die dramatischen Genres, im einen Moment sieht man ein schmelzendes Liebespaar, im nächsten ein wütendes Duell.
Auf bizarre Art hält der Abend uns einen Spiegel vor. Es fällt der Begriff „Klima“, es wird „Kanonendonner“ erwähnt. Aber das wird nicht betont, es liegt am Zuschauer, ob und wie er die apokalyptische Gegenwart von Seuchen, Krieg und Verwüstung wiederfindet. Aber angesprochen wird man von dieser empfindlichen Zeitdiagnose. Großer Beifall.
18.3., 19.4.,
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