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„Begriff fehlt jede abwertende Note“ - Nordamerika-Experte über „Indianer“-Debatte

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Seit Florian Silbereisen aus dem Hit „1001 Nacht“ das Wort „Indianer“ gestrichen hat, fragen sich viele, was falsch an dem Begriff ist. Darüber hat die Fuldaer Zeitung mit Professor Michael Hochgeschwender von der Ludwig-Maximilians-Universität München gesprochen. 

Fulda/München - Ein einziges Wort schlägt hohe Wellen: Bei der ARD-Abschiedsgala für Sänger Jürgen Drews am 14. Januar hat Moderator Florian Silbereisen zusammen mit Sängerin Beatrice Egli den Klaus-Lage-Hit „1000 und 1 Nacht (Zoom!)“ gesungen - und an entscheidender Stelle verändert.

„Indianer“-Zoff um Florian Silbereisen: Nordamerika-Experte verteidigt Begriff

Das Wort „Indianer“ wurde – offenbar aus politischen Gründen – gestrichen und durch das Wort „zusammen“ ersetzt. Songautor Diether Dehm, der in Eiterfeld-Großentaft im Kreis Fulda lebt, hat deswegen Strafanzeige gegen Silbereisen wegen Urheberrechtsverletzung gestellt. Die Streichung des Wortes „Indianer“ sorgte auch bei Zuschauern der ARD-Gala für Irritation.

Während sich der Manager des Schlagerstars inzwischen telefonisch bei Dehm für den Texteingriff ohne vorherige Erlaubnis entschuldigt hat, schweigt Florian Silbereisen selbst zu dem Thema. Dehm legte inzwischen mit einer an Silbereisen gerichteten neuen Version von „1001 Nacht“ nach.

Die Fuldaer Zeitung hat nun mit Professor Michael Hochgeschwender über die Debatte gesprochen. Hochgeschwender lehrt Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Er hat unter anderem das Buch „Die Amerikanische Revolution: Geburt einer Nation, 1763-1815“ (C.H. Beck) veröffentlicht.

Darf man Angehörige indigener Völker noch als Indianer bezeichnen?

Ja, und zwar uneingeschränkt. Gerade im Deutschen fehlt dem Begriff jede abwertende Note. Außerdem kann man im Deutschen, anders als im Englischen, Inder und Indianer begrifflich nicht verwechseln. Auch wenn generell klar ist, dass „Indianer“ eine Fremdbezeichnung der europäischen Invasoren ist, die auf einer geographischen Verwechslung beruht, hat sich der Begriff doch allgemein durchgesetzt. Es fehlt zudem an brauchbaren Alternativen: Indigene ist zu wenig spezifisch, Native Americans kann ebenso gut Indianer wie in Amerika geborene Schwarze, Asiaten oder Weiße bezeichnen, Amerindian ist durchweg ein akademisches Kunstwort geblieben.

Prof. Dr. Michael Hochgeschwender lehrt Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Er hat unter anderem das Buch veröffentlicht „Die Amerikanische Revolution: Geburt einer Nation, 1763-1815“ (C.H. Beck).
Professor Michael Hochgeschwender lehrt Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). © LMU Universität München

Was ist der Grund dafür, dass das Wort nun plötzlich von manchen als Verstoß gegen die „political correctness“ betrachtet wird?

Das hängt einerseits mit der eurozentrischen Perspektive in der Begriffsentstehung zusammen, andererseits mit den abwertenden Untertönen, die im Englischen etwa der Bezeichnung „Red Indian“, die ganz klar rassistisch konnotiert ist, innewohnt. Für „Indian“ gilt dies allerdings nicht, viel eher für ältere Konzepte, so etwa „savage“, dem im Englischen die positive Konnotation des französischen „sauvage“ im Sinne des edlen Wilden bei Rousseau abgeht, oder „natural“, womit Indianer praktisch zu Bestandteilen der Natur werden. Aus diesem Grund haben sich Aktivisten im Englischen gegen das Wort „Indian“ ausgesprochen. Gleichzeitig wenden sie sich gegen die universalistische Vorstellung, es gebe so etwas wie „Indianer“ beziehungsweise „Indians“ und nicht Hunderte ganz unterschiedlicher Kulturen auf dem amerikanischen Doppelkontinent.

Die deutsche Debatte – trotz des ganz unterschiedlichen sozialen, historischen und sprachlichen Kontextes – hat diese englischen Vorgaben unreflektiert übernommen und noch das Problem der sentimentalen Romantisierung, die eine im Grunde positive Wertschätzung widerspiegelt, hinzugefügt. Wie bei allen Debatten um „political correctness“ geht es im Hintergrund um kulturelle Hegemonie, ausgehend von dem nicht unproblematischen Glauben, Sprache präge Gesellschaften in einer eindeutigen Art und Weise.

Haben die indigenen Völker selbst ein Problem damit, wenn man sie als Indianer bezeichnet?

Das hängt sehr davon ab. Manche bestehen auf der Bezeichnung Indianer/Indian, wenn es um das generische Konzept, also die Gesamtheit aller amerikanischen Ureinwohner geht und werfen anderen Konzepten vor, akademische Erfindungen zu sein, die man ihnen gegen ihren Willen überstülpe. Andere benutzen mehrere generische Begriffe synonym, wieder andere lehnen das Wort als Erbe des Kolonialismus strikt ab.

Diese Frage betrifft vor allem Indianer, die in Großstädten leben und nicht mehr in das Stammesleben eingebunden sind. Tribal eingebundene Ureinwohner bevorzugen es, unter ihrem traditionellen Stammesnamen angesprochen zu werden, wobei sie auch die überkommenen europäischen Bezeichnungen entweder ablehnen oder eher zähneknirschend akzeptieren.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Angehörige der Irokesenkonföderation bevorzugen die traditionelle Bezeichnung Haudenosaunee, weil Irokese oder Iroquois, eine Bezeichnung aus der ebenfalls indianischen Algonkinsprache, welche die Franzosen damals im Rahmen der Erstbegegnung mit Algonkin übernahmen, eine abwertende Bedeutung hat: „Schlangen“ oder „killer people“. Diese an sich positive Hinwendung zu den alten Stammesnamen beinhaltet jedoch zwei Probleme: Zum einen sind diese Namen für Europäer oft kaum auszusprechen und es besteht die Gefahr, Stammesangehörige durch eine falsche Aussprache ungewollt zu beleidigen. Zum anderen bedeuten die traditionellen Namen oft einfach „Mensch“ im Sinne von „wahren Menschen“, womit indirekt schon den Nachbarstämmen abgesprochen wird, wahre Menschen zu sein. Diese Spannungen lassen sich nicht auflösen, egal welche Bezeichnung man aus welchen Gründen auch wählen mag.

Experte: Romane von Karl May sind ambivalent

Der Ravensburger Verlag hat vergangenes Jahr Winnetou-Bücher aus dem Programm genommen, weil es Vorwürfe von Rassismus und kultureller Aneignung gab. Halten Sie Winnetou als fiktive Figur in diesem Sinne für problematisch?

Die Romane von Karl May sind, wie jede Literatur, ambivalent. May gab einerseits stereotype Vorurteile gegenüber europäischen und nichteuropäischen Völkern zum Teil höchst unreflektiert wider, wobei er, dem Rassismus seiner Epoche folgend, insbesondere gemischtrassige Menschen negativ darstellte, aber eben auch Engländer, Franzosen, Spanier – von denen er aber immer auch positiv gezeichnete Individuen auftreten lässt, selbst von den Franzosen, die ja damals als „Erbfeinde“ der Deutschen galten.

Karl Mays Winnetou war in Kindertagen mein Held. War das ein falsches Bild, das sich da in mir eingebrannt hat?

Nur Deutsche und eben einige Indianer, etwa die Apachen, werden bei Karl May durchweg positiv dargestellt. Andere Stammeskollektive, etwa die Kiowa, kommen schlechter weg. Insgesamt aber neigt May zu einer melancholisch-positiven Sicht der Indianer, die er als untergehende Völker versteht. Dies verbindet er mit einem überkonfessionellen christlichen Universalismus und einem mit zunehmenden Alter intensivierten Hang zu transreligiöser Mystik, die auch nichtchristliche Spiritualitäten einbezieht, aber durchweg christlich deutet. Das kann man als humanistisch oder als eurozentrisch auslegen, je nach politischem Standort. Je nach literarischem Geschmack kann man es auch sinnhaft oder süßlich finden.

Wie sehen Angehörige indigener Völker die Debatten bei uns und auch die Winnetou-Geschichten?

Die Karl-May-Romane sind in den USA weitgehend unbekannt. Um 2010 habe ich einmal mit einem Apachen gesprochen, der sich über deutsche Touristen und ihre Begeisterung für seine Kultur und seinen Stamm ein wenig lustig machte. Da er Akademiker war, hat er sich dann mit Karl May beschäftigt, aber das ist eine Ausnahme. Deutsche neigen insgesamt dazu, die Bedeutung ihrer Debatten für den Rest der Welt immens zu überschätzen. Hinzu kommt die schon erwähnte unreflektierte Abhängigkeit von amerikanischen Debatten.

Indianer-Debatte: „Kulturelle Aneignung ist ein hochproblematisches Konzept“

Nicht nur an den Karl-May-Festtagen - wie hier im Mai 2022 - verkleiden sich Menschen als „Indianer“. Das löst eine Debatte um kulturelle Aneignung aus.
Nicht nur an den Karl-May-Festtagen - wie hier im Mai 2022 - verkleiden sich Menschen als „Indianer“. Das löst eine Debatte um kulturelle Aneignung aus. © Daniel Schäfer/dpa

Gerade ist Fastnacht: Viele Kinder verkleiden sich als Indianer. Sehen Sie darin irgendein Problem? Auch hier wird ja gern die „kulturelle Aneignung“ kritisiert.

„Kulturelle Aneignung“ ist ein hochproblematisches Konzept, denn Kultur ist niemals und war niemals eine abgeschlossene Größe, sondern basierte stets auf Austausch und Aneignung. Die Vorstellung, Völker oder Kulturen seien abgeschlossen und homogen ist ein Konstrukt, das sich vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert entfaltet hat, das aber etwa in der Archäologie und den Geschichtswissenschaften seit geraumer Zeit als empirisch überholt gilt. Es ist interessant, dass diese absurde Vorstellung nun in identitären Kreisen im linken und rechten politischen Spektrum wieder fröhlich Urständ feiert.

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