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Barbara Frey inszeniert Schnitzlers „Das weite Land“ bei der Ruhrtriennale

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Von: Ralf Stiftel

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Szene aus Barbara Freys Inszenierung „Das weite Land“ bei der Ruhrtriennale mit Nina Siewert und Michael Maertens
Wer so weit auseinander sitzt, kommt am Ende nicht zusammen: Szene aus Barbara Freys Inszenierung „Das weite Land“ bei der Ruhrtriennale mit Nina Siewert und Michael Maertens. ©  © Matthias Horn, Ruhrtriennale

Bochum – Vorn hängt Genia Hofreiter apathisch in ihrem Sessel. Hinter schwarzer Gaze schreitet ein Trauerzug. Damit kein Zweifel bleibt, dass die Leute vom Friedhof kommen, erläutert eine Stimme aus dem Off, welche Käfer und Maden nach welcher Zeit an einem Leichnam nachweisbar sind. Und schon bricht das Pathos der Situation.

Erst recht, als Friedrich Hofreiter auftritt und seiner Frau vorwirft, sie habe eine Affäre mit dem Toten gehabt. Der Mann habe sich ihretwegen umgebracht. Da kann sie noch so oft beteuern, dass nichts war, da kann sie sogar den eindeutigen Abschiedsbrief vorzeigen. Friedrich Hofreiter wendet jedes Wort gegen sie. Es ist ein absurder Furor. Der Fabrikant hatte gerade eine Affäre mit der Frau eines Geschäftspartners beendet. Eifersucht steht ihm nicht zu.

Widersprüche und Impulse steuern die Figuren in Arthur Schnitzlers Tragikomödie „Ein weites Land“. Auch darin mag eine Aktualität liegen. Barbara Frey, Intendantin der Ruhrtriennale, inszeniert das 110 Jahre alte Stück in einer Koproduktion mit dem Burgtheater Wien in der Bochumer Jahrhunderthalle. Es erweist sich als überraschend frisch, obwohl der Autor auf die wahrhaft überkommene Doppelmoral der Doppelmonarchie zielte. Heute fragt man nicht mehr den Mann um Erlaubnis, wenn man mit der Frau sprechen möchte. Die steifen Umgangsformen, erst recht die Duelle sind passé. Aber sonst unterscheidet sich die Gesellschaft, die Schnitzler porträtierte, verblüffend wenig von der unseren.

Das zeigt sich vor allem am Unternehmer Hofreiter, der eine Glühbirnenfabrik betriebt, damals eine Zukunftsbranche, und nicht zufällig verbunden mit dem Licht, der Aufklärung. Während er mit Freunden über Tennis oder Bergtouren plaudert, schaut er immer auch aufs Geschäft, zum Beispiel auf die geplante Expansion nach Amerika. Da sind Multitasking und Globalisierung mitgedacht. Die Sphären durchdringen sich. Die Steuerung durch Triebe aber verbindet alles. Die Reise über den Atlantik soll mit touristischem Vergnügen verbunden werden. Einmal preist Friedrich die Leistungen eines Abgeordneten: Ohne ihn gäbe es das Hotel und die Autobahn nicht. Solche Verdienste um die Infrastruktur würde sich auch heute ein Politiker gern nachsagen lassen, vielleicht weniger die folgende Pointe, dass er in jedem Dorf ein Kind habe. Wie oft umarmen und küssen sich hier verschiedene Beteiligte, aber das ist Berechnung: Sie schätzen ab, wie man einander benutzen könnte.

Jeder kennt hier jeden, sie teilen ihre Geheimnisse, die darum auch jeder kennt. Und sie alle wollen etwas, allerdings nicht unbedingt im einen Moment dasselbe wie in der Szene davor. Barbara Frey arbeitet diese Modernität des Stückes mit einer minuziösen Figurenführung heraus. Wenn der Doktor Mauer sich auf die breite Lehne des Sessels zu Genia setzt, dann spürt man das unausgeprochene Angebot. Wenn der junge Fähnrich Otto mit der Frau einen Blick wechselt, dann liegt darin schon eine Affäre vorgezeichnet. Der größte Teil des Abends wird vor dem Gazevorhang gespielt, durch den immer wieder überraschend Akteure in vermeintlich vertrauliche Situationen platzen. Am Ende öffnet sich die Szene mit einem Ausblick auf eine unheile Bergwelt, durch die sich bereits der Bohrer für einen Tunnel frisst (Bühennbild: Martin Zehetgruber).

Das funktioniert so fabelhaft, weil Frey ein Ensemble virtuoser Darsteller steuert. Michael Maertens irrlichtert als Fabrikant Hofreiter hinreißend durch das Stück, ein Mann mit unbegrenzten Eigenschaften, mal der treuherzige Schlawiner, der seiner Frau die Affäre mit der Bankiersfrau einräumt, um ihr im nächsten Augenblick Druck zu machen. Die Wortkaskaden, die er von sich gibt, selbst das Stocken und Abbrechen von Sätzen, sind perfekt instrumentierte Sprechkunst. Bei der jüngeren Erna gibt er sich als Romantiker bis zum Eheantrag. Aber als die ihn vertröstet, wiederholt er das „Später“ wie eine zischende akustische Explosion. Dieser Vertreter einer toxischen Männlichkeit steckt voller Irrationalität und Widersprüche, und Maertens verkörpert das so, dass beim Betrachter keine Zweifel aufkommen.

Katharina Lorenz als Genia ist gerade nicht das Opfer dieses Manipulateurs. Sie beharrt auf eigenen Plänen, schon lange bevor sie den jungen Fähnrich Otto in die Arme schließt. Bibiana Beglau verkörpert nicht nur eine weitere starke Frau, die Schauspielerin Anna Meinhold, sondern auch in einer späteren Szene deren Ehemann. Und auch Nina Siewert als Erna ist nicht das hilflos schmachtende Mädchen in den Armen des Verführers. All diese Darstellerinnen schaffen die Komplexität, die Spannung in diesem Beziehungsgeflecht.

Man schaut diesem Ensemble gerne zu, sei es Felix Kammerer als jungem Fähnrich, der zuweilen übermütig mit dem Tennisschläger über die Bühne springt, sei es Itay Tiran als Dr. Mauer, der einiges an Demütigungen einsteckt und dann doch versucht, vernünftig und loyal zu sein.

Dieser Abend ist großes psychologisches Schauspielertheater. Viel Beifall und Bravo-Rufe.

24., 25., 26.8.,

Tel. 0221/ 280 210, www.ruhrtriennale.de

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