Balkan-Lieder in der Kirche

RÖNSAHL ▪ „Vom Dorf des Schwarzpulvers zur Küste des Schwarzen Meeres – eine musikalische Reise mit dem Odessa-Projekt“ – so lautete die Überschrift zu einem ganz besonderen Konzert, zu dem die evangelische Kirchengemeinde Rönsahl kürzlich anlässlich des „Tages des Offenen Denkmals“ in die Servatiuskirche eingeladen hatte.
Wenngleich auch ein wenig außerhalb des Rahmens der allseits beliebten Veranstaltungsreihe der Rönsahler Kirchenkonzerte angesiedelt, die Mitte Oktober in ihr neues Semester starten wird, so hatte allein der Titel dieses Konzerts viele Musikfreunde neugierig gemacht: „Schwarzpulverdorf“ – das klingt vielleicht ein wenig abgegriffen. Der Begriff wird oftmals angewandt und erinnert an Zeiten, in denen das Dorf Rönsahl und seine Umgebung dank der florierenden Pulverindustrie Geschichte geschrieben hat. Aber: „Odessa-Projekt“, was ist denn das? So fragten sich wohl etliche der in erfreulich großer Zahl gekommenen Zuhörer, die mit ihrem später am Ausgang erbetenen Obolus ihr Scherflein zur laufenden Restaurierung der Rönsahler Kirchenorgel beitragen wollten.
Diese Frage war dann aber schnell beantwortet. Dafür sorgte nämlich das putzmuntere Quintett, das auf der improvisierten Bühne inmitten von zahlreichen Instrumenten Platz genommen hatte. Die Mitglieder fielen schon allein durch das an fremdländische Kulturen erinnernde Outfit auf – und damit ließen sie den Erwartungspegel beträchtlich anschwellen. Aus dem benachbarten Bergischen Land, genauer gesagt mehrheitlich aus Hückeswagen und auch aus Remscheid stammend, zauberten Sabine Schmelzer (Saxophon und Gesang), Stefanie Hölzle (Geige, Klarinette und Gesang), Susanne Heinemann (Perkussion und Drums) Daniel Marsch (Akkordeon, Geige und Gesang), sowie Jochen Heinemann mit dem Kontrabass jenen eigenwilligen, mal schwermütig/melancholischen, dann wieder im munteren Plauderton servierten Sound aufs musikalische Parkett. Der bestimmte dann die Route dieser fiktiven Reise ans Schwarze Meer.
Die „Tour“ führte geradewegs mitten hinein in die fröhlich feiernde Hochzeitsgesellschaft der rumänischen Zigeunerfamilie. Er ließ die Zuhörer teilhaben an guter Laune und Frohsinn beim mazedonischen Tanzvergnügen und servierte traditionelle Musik der Balkanländer ebenso wie die tiefsinnige und von innerlicher Fröhlichkeit zeugende Klänge aus der Palette jiddischen Liedgutes und Klezmerklängen. Wer genau hinhörte, wenn beispielsweise die so genannte Spring-Drum ins Geschehen eingebunden wurde, der meinte, selbst einen musikalischen Abstecher ins „Märchenland“ erkennen zu können. Mal gesungen, mal nur gesummt, erzählte „Odessa-Projekt“ die Geschichte von dem alten Zigeuner, der gar nicht genug bekommen konnte vom fröhlichen Tanz, sprach von Marco aus Bulgarien, der auf der Suche nach der Partnerin fürs Leben auch mal im Nachbardorf Ausschau hält und band auch die Zuhörer mit ins Geschehen ein.
Bereitwillig nämlich unterstützen die Frauen im Kirchenschiff die sehnsuchtsvolle Suche nach dem „schönen Johnny“. So verging die musikalische Reise ans Schwarze Meer wie im Flug – und dürfte letztlich wohl auch allen gefallen haben.
Rainer Crummenerl